zum Hauptinhalt

Neues Buch über alten Klatsch: Lustspiele im Schloss Grunewald

Wie ein Sexskandal im Jagdschloss Grunewald den Hof Kaiser Wilhelms II. erschütterte.

Duelle sind aus der Mode gekommen, und kaum jemand verbindet damit noch Begriffe wie „Avance“ oder „Barriere“. Zu Zeiten Wilhelms II. dagegen sah man in dem so benannten Verfahren den ultimativen Beweis von Männlichkeit und Ehre: Geschossen wurde nicht aus fester Distanz, vielmehr gingen die Duellanten bis zu einer Barriere von zehn Schritt Entfernung aufeinander zu, immer wieder feuernd und statt aus klassischen Duellwaffen mit präzisen Armeepistolen – eine todsichere Sache. Auch der Ehrenhandel, den Leberecht von Kotze, Zeremonienmeister am kaiserlichen Hof, und sein Kollege und Intimfeind Karl Ernst Freiherr von Schrader am Karfreitag 1896 auf dem Ravensberg bei Potsdam austrugen, endete tödlich: von Kotze traf den Kontrahenten in den Unterleib, der tags darauf starb.

Es war der blutige Höhepunkt eines Skandals, der fünf Jahre zuvor von einer offenbar sehr freizügigen Party im Jagdschloss Grunewald seinen Ausgang genommen hatte und jetzt durch ein Buch des Berliner Historikers Wolfgang Wippermann wieder dem Vergessen entrissen wurde: 15 Damen und Herren, allesamt Mitglieder der Hofgesellschaft, darunter Charlotte von Sachsen-Meiningen, Schwester des Kaisers, versammelten sich im Januar 1891 nach einer Schlittenfahrt in dem ehrwürdigen Gemäuer, an sich ein Ort des Vergnügens, aber doch nicht in der Weise, wie es sich dann zugetragen haben soll. Demnach entwickelte sich eine Feier, die eher an die Ausschweifungen spätrömischer Orgien erinnerte als an ein Fest von preußisch-korrekter Etikette: Männlein und Weiblein sollen sich miteinander vergnügt haben, ein sexuelles Kreuz- und Querspiel, das von den Frauen ausging, doch von den Männern lustvoll aufgegriffen wurde, auch untereinander, was ebenso verpönt wie verboten war.

Ein Privatvergnügen, keine Frage, allerdings tauchten kurz danach anonyme Briefe auf, gerichtet an Partyteilnehmer, aber auch andere Mitglieder des Hofes, in denen die lebensfrohe Grunewald-Gesellschaft sexueller Verfehlungen bezichtigt und Teilnehmer von ohnehin zweifelhaftem Ruf, die wie Friedrich Graf von Hohenau als schwul galten oder wie seine Frau Charlotte als mannstoll, per Wort und Bild in teils obszöner Manier verleumdet wurden. Das sprach sich rum, auch setzten sich Betroffene zur Wehr, zeigten den unbekannten Briefeschreiber an, über dessen Identität es bald Spekulationen gab. Sie konzentrierten sich auf den Zeremonienmeister von Kotze, der in der Lichterfelder Drakestraße wohnte und – wie sein Kontrahent von Schrader – mit seiner Frau an der Party teilgenommen hatte, ein klatschsüchtiger, eitler, als putzsüchtig und „weibisch“ geltender Mann. Bald stand er im Mittelpunkt der Ermittlungen, mit denen im Mai 1892 der Kriminalkommissar Eugen von Tausch beauftragt worden war. Dessen Methoden waren mehr als fragwürdig, Zeugenkauf und Bestechung gehörten ebenso dazu wie das Überwachen von Briefkästen, in denen ein Verdächtiger oder dessen Personal Briefe einzuwerfen pflegten. Auch die Nachforschungen eines Kreises von adligen Hobbydetektiven, darunter Baron von Schrader, schienen auf von Kotze zu weisen. Unter anderem wurden aus seinem Haushalt Löschblätter entwendet, um über Tintenspuren die Urheberschaft für die anonymen Schweinereien zu erkunden.

Offenbar war von Kotze aber unschuldig, denn auch als er auf die – juristisch fragwürdige – Anweisung des Kaisers hin am 17. Juni 1894 verhaftet worden war, trafen weiterhin Schmuddelbriefe ein. Bis April 1895 musste der geschasste Zeremonienmeister und Reserveoffizier vor Militärgerichten um Freiheit und Ehre kämpfen. Wilhelm II. mischte sich wiederholt ein, bestätigte erst den zweiten Freispruch, womit die Sache für von Kotze aber nicht erledigt war. Schon ein Cousin hatte sich stellvertretend für ihn mit Schrader als vermeintlich hauptverantwortlichem Verleumder duelliert, der Schusswechsel verlief unblutig. In Freiheit forderte von Kotze seinen Intimfeind nun selbst heraus, und zwei aus dessen Kreis gleich mit. Man einigte sich auf ein „Kollektivmandat“, bei dem sich nur einer der drei Geforderten duellieren musste. Bei dem achtfachen Schusswechsel am 13. April 1895 nahe dem Bahnhof Halensee wurde Kotze verwundet. Solche Duelle waren zwar verboten, gleichwohl lobte der Kaiser seinen Mut und ließ ihm im Krankenhaus zum Zeichen seiner Huld ein Ei überreichen. Schließlich war Ostern.

Eine längst versunkene, heute eher kurios anmutende Geschichte aus der Kaiserzeit, doch der Historiker Wippermann, der sie ausgegraben hat, sieht darin weit mehr als nur den Klatsch von vorgestern. Der von der Presse und im Reichstag von den Gegnern der Monarchie genüsslich sezierte Skandal erscheint ihm vielmehr symptomatisch für den Wilhelminismus kurz vor der Jahrhundertwende, für den allmählichen Wandel der Werte wie Männlichkeit und Ehre, für erste Verschiebungen auch in der Rolle der Frau und der Stellung des Homosexuellen und schließlich für den latenten Antisemitismus dieser Zeit, der sich etwa in den Anfeindungen gegen von Kotzes jüdischen Anwalt Fritz Friedmann niederschlug.

Durch dessen Übereifer war die Affäre mit dem kaiserlichen Ei doch noch nicht zu Ende. Von Kotze strengte, kaum genesen, nun noch eine Verleumdungsklage gegen Schrader an, die dieser seinerseits mit einer Duellforderung konterte. Unter Hinweis auf das laufende Gerichtsverfahren lehnte von Kotze wiederholt ab, woraufhin ein von Schrader angerufenes militärisches Ehrengericht seinen Gegner wegen Satisfaktionsverweigerung für ehrlos erklärte und aus dem Offizierkorps ausschloss. Erst durch zweifache erneute Intervention Wilhelm II. wurde von Kotze dann doch nur verwarnt, blieb somit satisfaktionsfähig. Das Duell war nun unausweichlich. Pech für den Baron von Schrader. Andreas Conrad



— Wolfgang Wippermann:
Skandal im Jagdschloss Grunewald. Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich.

Primus-Verlag, Darmstadt. 168 Seiten, 19,90 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false