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Frauentreff

© Mike Wolff

Neukölln: Raus aus der Wohnung, rein ins Leben

Der Müttertreff in Neukölln will bei der Integration helfen. Deutschkenntnisse spielen dafür eine entscheidende Rolle.

„Man heiratet nicht nur einen Mann, sondern seine ganze Familie“, sagt die 27-jährige Adife auf Türkisch. Glücklich klingt die gelernte Buchhalterin dabei nicht. Nach ihrer Hochzeit in der Türkei folgte sie ihrem Mann nach Deutschland. Die Sprache konnte sie nicht. Und weil die Familie ihres Mannes dagegen war, lernte sie sie auch lange nicht. In alltäglichen Situationen ist Adife, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, deshalb heute oft überfordert. „Wenn es im Kindergarten Probleme gibt, kann ich nicht mit den Erziehern meines dreijährigen Sohnes sprechen“, sagt sie.

Das soll sich jetzt ändern. Mit rund 40 anderen Frauen sitz Adife an einem Tisch in einem Raum des Vereins des Türkischen Unternehmer- und Handwerkervereins (TUH) in der Neuköllner Rollbergstraße. Den Tisch schmücken Gestecke aus Sonnenblumen, es gibt frische Früchte, Kekse und orientalische Köstlichkeiten. Die Frauen türkischer, deutscher und arabischer Herkunft vereint, dass sie Mütter sind.

„Wir wollen erreichen, dass diese Frauen aus der Wohnung raus- und in die Gesellschaft reinkommen“, sagt Hüseyin Yilmaz, Vorstandsvorsitzende der TUH, über das Projekt Müttertreff. „Es gibt so viele Frauen, die noch nie mit Deutschen in Kontakt getreten sind.“ Ziel der Treffen sei es, Vorurteile abzubauen. Das selbst finanzierte Projekt startete am 19. September und soll mindestens einmal im Monat stattfinden.

Adife trägt ihre langen Haare offen. Sie ist dezent geschminkt und modisch gekleidet. Über die Beweggründe ihrer Familie, ihr zunächst einen Deutschkurs zu verbieten, will sie nicht reden. Eine andere Frau im Kurs sagt jedoch, dass die Familien oftmals nicht wollten, dass die Frauen Kontakte nach außen knüpfen. Sie befürchteten, dass sie dort andere Freiheiten kennenlernen und sich von traditionellen Rollen und Werten entfernten.

„Die deutsche Kultur ist anders“, sagt Laila, „aber man muss seine Berührungsängste ablegen.“ Die 39-Jährige, die als türkische Gastarbeiterin nach Deutschland kam, fordert mehr Offenheit und weniger Scham. Es sei okay, beim Sprechen auch Fehler zu machen.

„Sprache ist sehr wichtig für die Integration“, sagt die 38-jährige Fidaa. „Die Kinder bekommen schlechte Schulnoten, wenn die Eltern kein Deutsch können.“ Ein schwarzes Kopftuch verdeckt ihre Haare, ihr Deutsch ist fehlerfrei. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen besucht bereits einen Deutschkurs, die allermeisten beim TUH. Weil die Sprachvoraussetzungen im Müttertreff allerdings noch sehr unterschiedlich sind, wird viel übersetzt. Gelegentlich gibt es Pausen, bis jemand wieder den Mut findet, etwas zu sagen. Das Essen steht derweil noch fast unberührt auf dem Tisch: Es ist Fastenmonat Ramadan.

Um die nächsten Sitzungen genauer mit einem Themenschwerpunkt zu planen, sammeln die Frauen relevante Themen an der Tafel: Sprache, Jobcenter, Scheidung, Erziehung, Ernährung steht darauf. Bei juristischen Problemen hilft die Rechtsanwältin Karoline Molter. Nach dem Treffen können die Frauen zu ihr kommen, um Einzelheiten zu besprechen. Gemeinsam mit der Lehrerin Carmen Queck gibt die Anwältin dann Hilfestellung und berät in allen Rechtsfragen.

Für Adife, die gerade ihr zweites Kind erwartet, bleibt jedoch zunächst das Erlernen der Sprache das zentrale Thema. Sie möchte endlich richtig Deutsch sprechen können. „Sprache ist das einzige Instrument, um zu verstehen“, sagt sie, „und vor allem, um verstanden zu werden.“

Das nächste Treffen findet am 19. November in der Neuköllner Rollbergstraße 70 statt. Informationen unter Telefon 030/62 72 12 31 oder www.tuh-berlin.de

Jasmin Kalarickal

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