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Sven Thomsen wohnt ganz oben in einem alten Kranhaus.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nutzung alter Gebäude: Siehst gut aus, altes Haus!

Früher war das Reanimieren alter Gebäude Terrain für Besetzer und Ökospinner. Inzwischen sich das Geschäft aber zu einem lukrativen Feld für Immobilienfirmen entwickelt, denn viele Objekte lassen sich als Wohnraum nutzen.

Niemand interessierte sich für diesen merkwürdigen Kran mit Backsteinsockel, mitten in der Einöde von Oberschöneweide. „Den wollten sie abreißen“, erzählt Eigentümer Sven Thomsen. 2002 kaufte der Unternehmer aus Hamburg das Grundstück und fing an, die Kranruine in ein überragend schönes Wohnhaus umzuwandeln, mit Vierseitblick auf die Spree und die alten Produktionshallen der Kabelwerke Oberspree, zu denen das Kranhaus auch mal gehörte. Das Rundsofa im Wohnzimmer lässt sich genauso drehen wie der alte Kran auf dem Dach. Filmproduktionen reißen sich um die einzigartige Behausung. Damit die Nachfrage nicht überhand nimmt, verlangt Thomsen 5000 Euro pro Tag.

Kranhäuser sind seltene, aber wegweisende „Transformationsimmobilien“, wie Fachleute sagen. Sie werden aus ihrer ursprünglichen Funktion gelöst und mit viel Phantasie in eine neue überführt. Dazu brauchte es keinen Ideenworkshop, sondern nur das „Bauchgefühl“ eines Hamburgers, der mit dem Fahrrad vorbeikam und dachte: „Total schön hier.“

Kliniken, Kirchen und Postämter, viele öffentliche Bauten aus Kaisers Tagen bis spät in die Nachkriegszeit hinein haben ihre ursprünglichen Aufgaben längst eingebüßt, stehen nutzlos herum und modern vor sich hin. Weil die Doppelstadt Berlin nach der Wende auf Normalmaß schrumpfen musste, blieben viele Verwaltungsbauten auf der Strecke, Hunderte von Schulen und Kitas wurden wegen sinkender Geburtenzahlen geschlossen, Industriegelände fielen brach, weil die Industrien sich nicht mehr rentierten. Gleichzeitig wuchs der Bedarf an innerstädtischem Wohnraum und außergewöhnlichen Arbeitsorten für die neue kreative Ökonomie. Das Durchsanieren, Reanimieren und Neudefinieren von Gebäudesubstanz, früher ein Terrain für Hausbesetzer und Ökospinner, entwickelte sich zu einem lukrativen Geschäftszweig von Immobilienfirmen und -anlegern. „Stadtumbau“ heißt das offiziell, wird sogar gefördert, funktioniert aber vor allem durch private Initiative.

Aus Fabrikhallen werden Lofts oder Ateliers, aus Brauereien Kulturzentren, aus Kliniken Wohnparks oder Büros. Der alte Osthafen in Friedrichshain hat auf Medien und Mode umgesattelt. Ähnliches steht dem Flughafen Tempelhof bevor. Auch Schulen und Kitas lassen sich neu bespielen, wenn die Lage stimmt. Nur Gefängnisse, Stadtbäder und Krematorien sind zäh und krallen sich an ihrer Geschichte fest.

Das alte Kranhaus von außen.
Das alte Kranhaus von außen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Gebäude des ehemaligen Kammergerichts am Lietzensee galt trotz hervorragender Lage jahrelang als hoffnungsloser Fall. Der wilhelminische Bau, 10 000 Quadratmeter groß, mit viel Stuckzierrat, Säulen, großzügigen Fluren und getäfelten Wänden, ließ sich allenfalls zu einem Hotel umwidmen, aber dagegen protestierten erfolgreich die Anwohner. Dann kam der Architekt Gregor Fuchshuber auf die Idee, Wohnungen einzurichten. Thomas Groth, Geschäftsführer von Allod-Immobilien, sollte die Vermarktung übernehmen. Als er zum ersten Mal im Gerichtsgebäude stand, dachte er: „Nee, das geht gar nicht.“ Heute bezeichnet er den Architekten als „kongenial“. Das Konzept sei „perfekt“ aufgegangen, die mit neun Euro kalkulierte Miete stieg inzwischen auf 14 Euro.

Wohnen in einem Gebäude mit Herkunft und Charakter, ohne auf moderne Annehmlichkeiten zu verzichten, das elektrisiert zahlungskräftige Neuberliner. „Das Branding des Ortes“ sei entscheidend, sagt Guido Spars, Professor für Immobilienwirtschaft in Wuppertal. Mit guten Vermarktungsideen und modernen Bautechniken ließe sich fast jedes Gebäude neu beleben. Spars hat an einem Workshop zur künftigen Nutzung der Alten Post an der Karl-Marx-Straße in Neukölln teilgenommen. Das riesige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert steht seit langem leer, wird mit Kulturprojekten zwischengenutzt und befindet sich auf der Suche nach einer neuen Funktion.

„Dort könnten kreative, ethnisch geprägte Marktplätze entstehen“, sagt Spars. Ein großer Raum unterm Dach ließe sich für Hochzeiten und Familienfeste nutzen. Die Lieferanten für solche Feiern könnten einige Etagen tiefer ihr Gewerbe betreiben, so entstünde in dem Haus eine selbsttragende Wertschöpfungskette.

Auch hier kann man jetzt wohnen: Das alte Reichsgericht am Lietzensee.
Auch hier kann man jetzt wohnen: Das alte Reichsgericht am Lietzensee.

© Kitty Kleist-Heinrich

In diesem Jahr werden die letzten eigenständigen Postfilialen verschwinden. Die alten Berliner Postämter wurden schon Ende der 90er Jahre von der Post verkauft, doch die neuen Eigentümer setzten nicht viel Energie daran, den mächtigen Gebäudehüllen eine neue Seele einzuhauchen. Post und Telekom blieben in der Regel als Mieter erhalten, beanspruchten aber viel weniger Fläche als vorher. Für das Postamt in der Berliner Straße in Pankow interessierte sich schließlich eine private Schule. Im Postfuhramt Spandau gegenüber dem Rathaus wurde die öffentliche Bibliothek eingerichtet. Doch solche Nutzungen werden die Ausnahme bleiben.

Ein privates Konsortium hat vor zwei Jahren acht Berliner Postämter erworben. „Das sind Familien, die dem Denkmalschutz verbunden sind“, sagt Doreen Wießner von der Investa Asset Management GmbH, die das Konsortium in Berlin vertritt. Für die Gebäude werden Nutzungskonzepte entwickelt. „Man hat eine Vision: Die Post ist eine gute und bekannte Adresse. Daraus lässt sich etwas machen.“ Händler könnten einziehen, Hotels oder Hostels wären denkbar, aber auch Büros.

Die Finanznot zwingt Senat und Bezirke seit den 90er Jahren, Gebäude aufzugeben. „Schreibtische rücken zusammen“, sagt Mittes Immobilienstadtrat Carsten Spallek (CDU). Derzeit werden drei städtische Bürogebäude geräumt und dem Liegenschaftsfonds zum Verkauf übertragen. Weil der Büromarkt schwächelt, sind alternative Ideen gefragt. Klappt der Verkauf nicht auf Anhieb, versucht Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds der Phantasie etwas nachzuhelfen. Die bekannten Immobilienentwickler werden zu einem „Winterpunsch“ ins Problemhaus eingeladen, um sich in lockerer Atmosphäre vielleicht doch für das Gebäude erwärmen zu können.

Das Krematorium Wedding erwies sich als besonders harte Nuss. „Wir haben dekoriert, interessant beleuchtet, einen Architekten eingeschaltet, der Ideen und Beispiele aus anderen Ländern beisteuerte“, sagt Dähne. Die Neuinszenierung des burgartigen Gebäudes vor blauschwarzem Nachthimmel wurde von Szene-Bloggern begeistert kommentiert. Doch die Investoren blieben skeptisch. Ein Friedhof als Nachbar? Was macht man mit den Urnennischen, dem großen Sarglager im Keller? „Wellness und Baden, das klingt abgefahren, funktioniert aber bestimmt“, meint Dähne. „Ein spirituelles Zentrum wäre auch vorstellbar oder ein medizinisches Museum.“

An die „Alte Münze“, der traditionellen Prägeanstalt am Molkenmarkt, habe sich auch zunächst „keiner rangetraut“, sagt Dähne. Jetzt funktioniert der ehemalige Gewerbestandort als Eventlocation für Berlinale-Partys, Modenschauen und Kunstmessen, derzeit befindet sich ein temporäres Restaurant darin. Das alles aber sind Zwischennutzungen, bis sich ein Investor findet, der aufs Ganze geht und der Alten Münze eine Zukunft baut.

Sven Thomsen hat sich nach acht Jahren sattgewohnt in seinem Kranhaus. Er möchte verkaufen und noch mal ein anderes Gebäude verzaubern, „vielleicht einen Wasserturm“. Kugelrund und außerhalb jeder Einrichtungsnorm, damit die Phantasie schön ins Rotieren kommt.

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