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Stadtleben: Party bis zum Morgen

Meret Becker ist in der Bar jeder Vernunft als Künstlerin groß geworden. Jetzt wird Geburtstag gefeiert

Von hier aus sei sie losgelaufen, sagt Meret Becker und meint das künstlerisch. Und dann erzählt sie Schoten von ihren Auftritten in der Bar jeder Vernunft, damals in den 90ern. Amüsiert und abgeklärt macht sie das, wie ein erwachsen gewordenes Zirkuskind. Das sei kein Zelt hier auf dem Platz, sondern eine alte Freundin, findet Meret. Auch Holger Klotzbach und Lutz Deisinger sehen das so, die seit 15 Besitzer des Kleinkunsttempels in der Schaperstraße sind. Mit Künstlern und Freunden aus Showbiz und Politik lassen sie dieses Wochenende in der Bar und im fünf Jahre alten Schwesterzelt Tipi die Champagnerkorken knallen. Judy Winter kommt und Max Raabe, Ingrid Caven und Wolfgang Völz, Fiona Bennett und Klaus Wowereit.

Schauspielerin und Sängerin Meret Becker, 38, ist natürlich ebenfalls dabei. „Wir haben uns gegenseitig groß gemacht, die Bar und ich“, sagt sie. Ob sie sich noch an den Eröffnungsabend 1992 erinnert? Sie zuckt die Schultern: „Keinen blassen Schimmer mehr.“ Aber in Ars Vitalis, die ersten Künstler in der Bar, habe sie sich gleich verliebt. Demnächst gehen Meret und die drei Musikkabarettisten mit ihrer gemeinsamen Show „Harmonie Desastres“ nach Australien und Kanada.

„Das tolle Bar-Programm damals war der Versuch, wieder an die von den Nazi-Spielverderbern kaputt gemachte Variéte-Kultur anzuknüpfen“, sagt Meret Becker. Nur, dass der Platz nicht zum Jonglieren reicht, habe ihr missfallen. Und dann stellten Klotzbach und Deisinger sie als Gastgeberin des Nachtsalons auf die Bühne. Sie sei die Puffmutter, die die Leute im Laden halten solle, habe Holger ihr gesagt. „Das hab’ ich sehr ernst genommen und meine Chansons schlagartig aufgestockt.“ Dann erzählt sie vom Oben-ohne-Auftritt mit Ursli-Pfister, von Otto Sander im Engelskostüm und von Wim Wenders, der in „Menschen, Tiere, Mutationen“ mit einer großen Lupe vorführte, dass er sich die Nase mit der Oberlippe zuhalten kann. Schräge Tingeltangel-Abende, die innerhalb weniger Wochen Kult wurden. „Nirgends sonst auf der Welt gab’ es so einen Ort“, sagt Meret Becker, die 1994 auch in der Erfolgsproduktion „Im weißen Rössl“ mitgespielt hat.

Ein bisschen Sehnsucht nach den wilden Anfangsjahren der samt Publikum etablierter gewordenen Bar jeder Vernunft schwingt mit, wenn Meret Becker sich erinnert. „Früher gab’s wenig Gage, aber viel zu trinken.“ Die meisten Nachtsalons hätten damals noch am Mittag des folgenden Werktags geendet. Mit Ars Vitalis habe sie sich vor der Bar mal ein Matratzenlager gebaut. „Und meine Mutter Monika Hansen hat ein rot-weißes Absperrband drum gezogen und ein Schild ,Vorsicht, schlafende Künstler!‘ dran gehängt.“ Was sie bei der ausverkauften Geburtstagsgala am Samstag im Tipi für ein Ständchen singt? „Zirkuslied heißt es. Und danach zieh’n meine Gesangspartnerin und ich uns vielleicht ein bisschen aus.“ Gunda Bartels

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