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© Rückeis

Porträt: Geliebter Mikro-Kosmos

Seit 30 Jahren steht Sängerin Gerlinde Kempendorff auf der Bühne. Das wird am Donnerstag gefeiert.

Sie kann trällern, sie kann gurren und vor allem auch sehr dreckig lachen. Sie kann schreien, flüstern, schmettern, hauchen, schmachten – und sächseln, klar! Sie hat schon vor 400 besoffenen Frauen in der Wuhlheide gesungen, bei einer Betriebsfeier zum Frauentag und vor 900 DDR-Arbeitern beim Bau einer Erdgastrasse in der Ukraine: mit Gummijacke und Stiefeln, wie Marlene Dietrich an der Front. In feinen West-Hotels war sie der Mittelpunkt festlicher Galas, auf Kleinkunstbühnen Interpretin scharfzüngiger Kabarett-Chansons. Sie hat Opern parodiert und glatzköpfig in der Staatsoper den „Samiel“ aus dem Freischütz gegeben. 30 Jahre Bühne, da kennt man das Leben, die Menschen, die Welt.

Am Donnerstag tritt Gerlinde Kempendorff im Theater im Palais mit ihrem Programm „Best of aus 30 Jahren Bühne“ auf. Das reicht von literarischen Chansons bis zu Schlagern. Doch mindestens genauso unterhaltsam ist die Sängerin, wenn sie zu Hause Anekdoten aus ihrem Bühnenleben erzählt. Mit dem Zigarillo in der Hand und die kurzen dunkelblonden Haare in alle Richtungen verwuschelt, sitzt sie in ihrer großzügigen Altbauwohnung am Savignyplatz, in der sie mit ihrem Mann und einer Freundin lebt, und erinnert sich, immer wieder von trockenen Lachern unterbrochen: an den Auftritt in Erfurt etwa, wo weit und breit kein Klavier zu sehen war: „Da hieß es, Eva bringt das gleich mit – die kam dann mit einem Kinder-Keyboard.“ Sie erzählt von Lichtanlagen, die mitten im Lied ausfallen, von Reifröcken, die weggleiten, von Gegensätzen, die sie bei Hotel-Galas erlebt hat: „Da kommst du durch den Hintereingang rein, ziehst dich im dreckigen Geräteraum um und gehst dann raus und wirst gefeiert wie ein Star.“ Einmal musste sie ihr Kostüm auf dem Tisch anziehen, weil „unten die Mäuse rumliefen“.

Das erste Bühnenleben der heute 53-Jährigen spielte in der DDR, das zweite im vereinigten Deutschland. An der Humboldt-Uni machte sie einen Abschluss als Diplom-Pädagogin für Deutsch und Musik, arbeitete als Lehrerin und studierte parallel Gesang an der Hochschule für Musik Hanns Eisler, heimlich sozusagen – „meine Schule durfte das nicht wissen, die haben mich hinterher in Unehren entlassen“. Aber sie bekam den „Berufsausweis“, den in der DDR jeder Künstler haben musste und auf dem unter anderem vermerkt stand, wie viel Geld er oder sie für einen Abend zu erhalten hatte. Existenzsorgen hatte Gerlinde Kempendorff nicht, dafür andere: „In der DDR ein Mikro oder auch nur eine Boa zu bekommen, war schwierig.“ Freien Zugang zu Papier oder Kopierern für Plakate und Programmzettel gab es auch nicht.

Als die Mauer fiel, hatte Kempendorff kaum etwas in der Hand, um ihr künstlerisches Talent zu beweisen: handgeschriebene Programmzettel und eine Schallplatte, auf der sie mit drei Liedern vertreten war – wegen DDR-kritischer Texte durften andere Lieder, die sie gesungen hatte, nicht aufgenommen werden. Mit „Klinkenputzen ohne Ende“ begann ihr zweites Bühnenleben, bis sie in der Galerie am Chamissoplatz auftreten konnte und nach dem Schneeballprinzip weiterempfohlen wurde.

Die Neunziger waren eine Goldgräberzeit: „Bei jedem Spatenstich, ob auf dem Potsdamer Platz oder bei den Twin Towers, wurden ja Berliner Lieder gebraucht.“ Die Kempendorff sang in Varietés und Theatern in Berlin und quer durch die Republik und wurde zur „Instanz des Kabarett-Chansons“ ausgerufen. Und sie baute sich ein zweites Standbein neben der Bühne auf: Seit 15 Jahren unterrichtet sie Präsentation und Sprechtechnik, unter anderem an der Universität der Künste. „Die Studenten müssen erst mal lernen, sich richtig hinzustellen und den Mund aufzumachen“, das ist ihr ein Anliegen: Auch das Klassenzimmer, auch ein Konferenzraum sind Bühnen. Mäuschenhaftes Auftreten, Piepsen und Säuseln? Nicht mit Gerlinde Kempendorff. Ihre eigene erste Sprecherzieherin hat ihr das von Anfang an ausgetrieben: „Die guckte mich an und fragte: Wie groß sind Sie? 1,75 Meter? Dann reden Sie nicht so, als ob Sie 1,30 wären!“ Eine Quarte tiefer spricht sie seitdem.

Dorothee Nolte

„Best of aus 30 Jahren Bühne“ beginnt am Donnerstag um 20 Uhr im Theater im Palais (Am Festungsgraben 1, Tel. 201 06 93). Im Rahmen der Langen Nacht der Museen lädt Kempendorff zu einer musikalische Lesung mit Texten von Else Lasker-Schüler (am 30. August um 19.30 Uhr im Museum Mitte, Pankstraße 43, Wedding). Am 9. September singt sie im Literaturhaus in der Fasanenstraße 23 Hits von Werner Richard Heymann, modern arrangiert, mit dem Saxophon-Quartett „Four in a row“. Beginn ist um 20 Uhr.

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