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Edzard Reuter

© Kai-Uwe Heinrich

Potsdamer Platz: Einzigartig auf der Welt

Der ehemalige Daimler-Chef Edzard Reuter mag seinen Potsdamer Platz. Aber beim Spaziergang ärgert er sich doch über Details.

Die Tür des Wohnhauses Unter den Linden schwingt auf, Edzard Reuter tritt leichtfüßig auf die Straße – von weitem könnte man ihn, den 80-Jährigen, für Mitte 50 halten. Er hat allerhand einstecken müssen nach dem Crash des so genannten integrierten Weltkonzerns, der Daimler-Benz dann doch nicht wurde, erst scheinbar allmächtiger Vorstandschef, dann abgesägt und zur persona non grata erklärt, schließlich wieder einigermaßen gelitten und mit ein paar Zeilen zum 80. Geburtstag gewürdigt. Über all das ist er hinweg, erinnert sich mit nur sanft ironisch angehauchter Lässigkeit. Zumal niemand bestreiten kann, dass er Berlin mit dem Daimler-Benz-Areal am Potsdamer Platz ein bedeutendes Denkmal hinterlassen hat. Wir haben ihn zum Jubiläum über das Gelände begleitet.

Lässig ironisch – das betrifft seine Haltung zur komplizierten Daimler-Vergangenheit, aber nicht seine Aufmerksamkeit für das Areal, dessen Werden er von den ersten Plänen an beobachtet hat, im Grunde noch viel länger. Denn auf die Frage nach den ersten Erinnerungen greift er zunächst weiter zurück, in die Nachkriegszeit, in der der Jurastudent Edzard Reuter mehr als ein Mal zwischen den Ruinen des Potsdamer Platzes stand.

Die Stadt in der Stadt - weltweit einmalig

Hat er sich damals etwas vorgestellt, was der heutigen Realität ähnelt? Nicht direkt, sagt er, denn schließlich sei diese Realität ja erst in der komplizierten Gestalt des Masterplans von Renzo Piano geschaffen worden, seine ursprüngliche Vorstellung sei wohl etwas kleinteiliger, altstädtischer gewesen. Immerhin habe man modern gebaut, ohne in der üblichen abweisenden Stahl- und Glas-Architektur zu landen, das lobt er ausdrücklich. Dann zeigt er auf die Bäume, die der Alten Potsdamer Straße vor dem Weinhaus Huth Kontur und eine quasi altstädtische Atmosphäre verleihen: „Für diese Bäume haben wir von Anfang an gekämpft, und das hat sich gelohnt.“ Gleich hinter dem Weinhaus Huth tut sich ein kleiner Platz auf, mit eingedeckten Tischen rund um den Brunnen mit den bunten Fahrrädern – ein Ort, der die himmelstürmende Architektur nebenan traulich mit dem Berliner Boden verbindet, und ein Lieblingsort Reuters. Die Erschaffung eines kompletten Stadtquartiers, das von den Berlinern angenommen und von den Touristen überrollt wird, ist gelungen, findet er, dafür gebe es weltweit kein Vorbild.

Im Detail äußert er freilich leise Kritik: „Ich bin nicht sicher, ob die Gebäude von Richard Rogers zur Linkstraße im Zusammenhang so toll sind, obwohl sie als Solitäre fabelhafte Architektur darstellen.“ Die größte Divergenz zwischen Plan und Realität sieht er dort, wo der Marlene-Dietrich-Platz zwischen Spielbank und Musicaltheater abgeschottet, zugemauert scheint. „Es war ja gerade unsere Absicht, Scharouns Bauten und sein Kulturforum mit dem Potsdamer Platz zu verbinden“, sagt er und weist auf die zugige Schneise, hinter der ein Stück Staatsbibliothek sichtbar wird, „das sollte auch inszeniert sein und wirklich ein Forum werden, aber es hat nicht funktioniert.“

Debis, das war einmal

Unten im ehemaligen Debis-Haus, wo sich Daimler-Benz bis vor kurzem einen repräsentativen Autosalon leistete, starren die Fußgänger nun auf Fenster, die mit Spiegelfolie undurchdringlich abgetötet wurden. Reuter starrt mit, wundert sich über die Attitüde des Nachrichtensenders N24, der sein neues Hauptquartier derart abschottet. Ein paar Schritte weiter betrachtet er den Daimler-Haupteingang, wird von zufällig dort kreuzenden ehemaligen Mitarbeitern freundlich begrüßt. Doch der Eingang selbst, von ein paar kryptischen bunten Leuchtzeichen illuminiert, lässt ihn kalt. Wie heißt gleich die Firma, die hier residiert?

Debis, das war einmal, daran erinnert nur noch das würfelförmige Logo oben auf dem Turm. Reuter zuckt mit den Schultern: „Auch da geht das Leben weiter, aber das hat mit handelnden Personen zu tun, und über die will ich mich nicht äußern.“ Dafür deutet er über den künstlichen See in Richtung Landwehrkanal: „Hier bewegt sich zu wenig Leben, aber das hängt auch damit zusammen, dass es hier weiter gehen müsste, dieser Zugang ist absolut abgeriegelt.“ In den ersten Plänen war der Tunnelausgang jenseits des Kanals vorgesehen, „das wäre wohl besser gewesen“.

Die gläsernen Einkaufs-Arkaden lässt Reuter links liegen. „Der Piano ist damals schier verrückt geworden, als er die Geschäfte aus finanziellen Gründen einbauen musste“, erinnert er sich, „ich hatte als Kaufmann ja Verständnis dafür, dass so ein Quartier auch Gewerbe haben muss, damit es vermietbar ist. Aber dann ist er auf die Idee mit dem Glasdach gekommen, und insgesamt funktionieren die Arkaden offenbar gut, mit weniger Leerstand als anderswo.“ Die steil ansteigende Rasenfläche, die das Areal an der Linkstraße begrenzt, gibt ihm dagegen Rätsel auf. „Das hab ich mir nie so vorgestellt, ich wüsste auch nicht, wer sich’s vorgestellt hat, ich kenn doch die Zeichnungen!“ Gedacht war eine parkartige Anlage, sagt er, „aber das ist nicht mal begehbar. Ob das symbolisch die Mauer sein soll?“

Das erinnerte fast an Mussolini

Gegenüber entlang der Köthener Straße erheben sich relativ gesichtslose Wohn- und Bürobauten, die Reuter mit gemischten Gefühlen betrachtet. „Ich will Herrn Stimmann ja nicht zu nahe treten“, sagt er über den damaligen Senatsbaudirektor, „aber die Architektur, die dort geplant war, war ursprünglich noch viel brutaler, das erinnerte fast an Mussolini. Stimmann hat mir nie erklären können, was das sollte.“ Auch der damalige Kultursenator Roloff-Momin spukt noch durch seine Erinnerungen, „es hat ja Jahre gedauert, bis es endlich geschafft war, diese eine Straße dort Varian-Fry-Straße zu nennen, das wurde ewig zwischen dem Bezirk und dem Senat hin und her geschoben, das hatte offenbar persönliche Gründe.“ Fry, ein US-amerikanischer Journalist, führte zur Zeit des Nationalsozialismus in Marseille ein Rettungsnetzwerk, das rund 2000 Menschen die Flucht ermöglichte.

Bei aller Detailkritik lässt Reuter keinen Zweifel daran, dass er seinen Einsatz für den Potsdamer Platz als glückliche Entscheidung sieht. Dann eilt er davon, um bei der Adenauer-Stiftung über „75 Jahre deutsches Exil in der Türkei“ zu sprechen – er ist ein solcher Exilant, aufgewachsen zwischen 1935 und 1946 in Istanbul. Es gibt Erinnerungen, die weit über die Neuerfindung des Potsdamer Platzes hinausreichen.

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