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Prenzlauer Berg: Frank Willmann: Der Kiez-Insider

Der Schriftsteller Frank Willmann ist Stadtführer bei „Art Escort“ und verspricht eine Kiez-Führung der besonderen Art: Prenzlauer Berg - Off-Kultur. Seit 1990 lebt er in Berlin und hat jeden Menge Anekdoten zu erzählen über Szenekneipen und Kiezleben.

Treffpunkt Kollwitzplatz. An der Käthe-Kollwitz-Plastik lehnt ein Mann in legerer schwarzer Kleidung und hält ein Buch in der Hand. Es heißt „Die Idioten“, spielt in Prenzlauer Berg und ist von ihm selbst, Frank Willmann. Der Schriftsteller will uns heute durch „seinen“ Kiez führen und von der hier um die Wendezeit ansässigen alternativen Künstlerszene erzählen.

Außer Schriftsteller – in diesem Jahr hat er zwei Bücher über Fußballfans in Ost-Berlin und die Punkbewegung in der DDR herausgebracht – und Innenverteidiger in der Autorennationalmannschaft ist der 45-Jährige seit kurzem Mitarbeiter einer neuen „Künstlerbegleitagentur“. Acht Künstler, darunter Autoren, Maler und Filmregisseure, bieten bei „Art Escort“ mehrstündige Stadtführungen mit Insiderwissen an. Darunter Britta Gansebohm, Toni Wirthmüller, Norbert Kron und eben Frank Willmann. Der Spaziergang mit Willmann für maximal drei Teilnehmer dauert mindestens zwei Stunden und trägt den Titel „Prenzlauer Berg – Off-Kultur“.

Geboren wurde der Schriftsteller in Weimar, 1984 reiste er in den Westen aus und ließ sich 1990 in direkter Nähe des Kollwitzplatzes nieder. „Was du heute an schönen Fassaden und schicken Geschäften siehst, hat nichts mit dem zu tun, wie es kurz nach der Wende aussah.“ Nur wenige Bäume hätten auf dem Kollwitzplatz gestanden. An vielen der nun sanierten Häuser verhinderten Haltevorrichtungen, dass marodes Mauerwerk auf den Gehweg fiel. Und im Winter stank es nach Kohlenmonoxid, denn 90 Prozent der Wohnungen wurden mit Kohle beheizt.

Solche Geschichten mögen auch Neu-Berlinern bekannt sein, doch schnell merkt man, dass Willmann ein Kiez-Insider mit großem Anekdotenvorrat ist. Beim Weg durch die Knaack- und Rykestraße erzählt er vom allgegenwärtigen Kohlenwagen, der in der Szene gängigen Manipulation der Stromzähler und am Wasserturm von der „Kommandantur“: Die frühere Szenekneipe war ein Treffpunkt für Künstler genauso wie für Kleinkriminelle. Hier, so Willmann, konnte man über Jahre anschreiben lassen, bekam das Kokain, auf das alle so scharf waren und plante an den Stehtischen die nächste Revolution.

Ein weiteres Zentrum der Off-Kultur war die Galerie „o zwei“ in der Oderbergerstraße, 1991 von Wolfgang Krause gegründet. Dort wurde 1993 das von Künstlern gestaltete „Knochengeld“ herausgegeben, das für einige Zeit als alternative Währung an vielen Orten im Kiez gültig war. Diese Aktion hat Willmann an der Seite von Autorenkollegen wie Bert Papenfuß, Rainer Schedlinski und Sascha Anderson genauso miterlebt wie die selbst organisierten Konzerte im Prater und den Aufbau der ersten unabhängigen Ost-Verlage nach der Wende, des Verlags „Druckhaus Galrev“ in der Lychener und des Basisdruck-Verlags in der Schliemannstraße.

Dort begann der typische Tag eines Künstlers aus Prenzlauer Berg: Gegen 14 Uhr las hier Bert Papenfuß die ersten Gedichte. Am Abend saß man im ehemaligen „Torpedokäfer“ in der Dunckerstraße. Und wer dann noch laufen konnte, endete irgendwann in der „Kommandantur“. Genauso wie man sich das Leben der Bohème vorstellt. Heute führt der Spaziergang mit Frank Willmann aber ohne Kneipenstopp direkt auf den Kollwitzplatz zurück. Und es bleibt das Gefühl, als hätte der Szenekenner noch viel mehr zu erzählen. Eva Kalwa

Mehr Informationen im Netz:

www.art-escort.de

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