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© Kleist-Heinrich

Puppenspiel: Bloß kein Kasperletheater

Suse Wächter ist eine der profiliertesten Puppenspielerinnen Deutschlands Mit 100 ihrer Geschöpfe lebt sie in Prenzlauer Berg. Einige treten heute auf.

Nein, die dicke Diva soll für’s Foto nicht einfach platt mit nach vorn gestreckten Beinen auf der Bühne sitzen. Das wäre würdelos, schnaubt Suse Wächter und setzt die Kammersängerin im Walkürenlook sacht und ordentlich neben sich auf das Sofa. Ein Atemzug hebt die üppige Schaumstoffbrust. Frau Kammersängerin schaut neugierig aus blanken Murmelaugen und erzählt mit voluminöser Matronenstimme aus ihrem bewegten Divenleben. Die Puppe lebt, und wie.

Sieht witzig aus, die Probe für die Gala „Helden der Oper“, die heute das Musiktheaterfestival „Open Op“ an der Neuköllner Oper eröffnet, und soll auch witzig sein. Ernst ist es aber trotzdem. Daran lässt Suse Wächter keinen Zweifel. Zu oft hat sie gehört, dass Puppentheater niedliches Kindertheater oder Trash sei, dass sie die Puppen tanzen lasse oder Kasperletheater mache. Da hat Wächter keinen Bock mehr drauf. Sie sieht sich eher als eine Art antiker Pygmalion, eine Künstlerin, die Geschöpfe erschafft. „Die Puppen sind mein Arbeitsmittel.“

Und das schon eine ganze Weile und mit ziemlichem Erfolg: Suse Wächter, 41, geboren in Sangerhausen und seit 1989 Berlinerin, ist eine der profiliertesten deutschen Theaterpuppenspielerinnen. In ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg hortet sie um die 100 selbst gebaute Fantasiegestalten. Keine steifen Holzmarionetten, sondern weiche, biegsame, ständig in Umarbeitung begriffene Wesen aus Latex, Stoff oder Menschenhaar. Gespielt hat sie mit ihnen überall, vom Deutschen Theater über Berliner Ensemble oder Schaubühne bis zur Bayerischen Staatsoper, Thalia Theater Hamburg, Schauspiel Köln, Theater Basel oder den Salzburger Festspielen.

Nur bei Suse Wächter atmen die Puppen, sagt Ulrike Eidinger, die als Sängerin und Puppenspielerin bei „Helden der Oper“ mitmacht. „Das ist eine große Kunst“, flüstert sie mit ehrfürchtigem Blick auf Wächter, die gerade mal kurz im Vorraum des Probenstudios telefoniert. Nachdem sie „Helden des 20. Jahrhunderts“, Wächters Paradestück an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, gesehen hatte, wollte sie unbedingt mal mit ihr arbeiten. Die blitzgescheite Politrevue lief 2007 mit einer 70-Puppen-Choreografie von Hitler bis Mickey Mouse. Bei der davon abgeleiteten, satirischen Stargala „Helden der Oper“ in der Neuköllner Oper sind mit Pavarotti, Freud, Helmut Kohl, Michael Jackson oder Elfriede Jelinek auch wieder diverse Ikonen dabei. „Ich will alles bigger than life“, sagt Regisseurin Suse Wächter. Das gilt auch für die „kleinste Gala der Welt“, wie „Helden der Oper“ im Untertitel heißt.

Außer Kunst ist Puppenspielen vor allem Handwerk, und das hat Wächter von 1992 bis 1996 an der Schauspielschule Ernst Busch gelernt. Wie sie dazu kam, weiß sie selbst nicht mehr genau. Schon als Kind hasste sie steife Puppen, beweglich wie die von „Monchhichi“ sollten sie sein. „Aber die gab’s im Osten nicht.“ Und im Fernsehen hat sie nicht die freakigen Figuren aus der Sesamstraße oder die Augsburger Puppenkiste geliebt, sondern die Muppets. Vor allem die alten Grantler Waldorf und Statler. „Diese fetten Theatercharaktere, dieser anarchische Humor, da steh’ ich drauf“, grinst Wächter.

Kein Wunder, dass ihre Puppen, je nachdem was das Stück erfordert, auch mal einen erigierfähigen Penis haben oder sogar gebären können. Die kleinste Puppe, die sie bisher gebaut hat, ist eine Marionette, die aus einer Nussschale steigen kann. Und die größten sind ein Drache und ein lebensgroßes Pferd, das mit drei Spielern bewegt wird. Wobei das mit dem Pferdeschritt immer so eine Sache ist, sagt Wächter und springt auf, um die komplexen Feinheiten der Pferdemotorik zu demonstrieren. „Sehnen, Muskeln, Fleisch, Haut, Gesicht – ich baue Tier- oder Menschenpuppen wie im Anatomiebuch auf“. Oder eben um. Die dicke Diva aus „Helden der Oper“ war früher mal Batman. Über dessen kräftige Brustmuskeln baute Suse Wächter, die ihren Figuren nicht nur gespielt und mit zahllosen Stimmen gesprochen, sondern auch als Sängerin zum Leben erweckt, den vollen Busen der Kammersängerin.

Und wie würde sie Berlin als Puppe bauen? Wächter grübelt. Wie die „Allwissende Müllhalde“ bei den „Fraggles“, sagt sie dann, „weise, beweglich und mit sprechenden Ratten drauf“. Gunda Bartels

„Helden der Oper“ eröffnet heute um

19 Uhr das vom 8.–18.4. laufende Festival „Open Op“ an der Neuköllner Oper, Vorstellungen auch Fr. 9.4., 19 Uhr, So. 18.4.,

15 Uhr, www.festival-openop.de

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