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Rapper

© Heerde

Reinickendorf: Außen hart und innen ganz weich

Von der Straße ins Musikstudio: Bei einem Streetwork-Projekt gaben Jugendliche Überraschendes von sich selber preis. Ihre CD erscheint am Freitag.

Wenn Erko rappt, öffnet sich eine Welt, die vielen verschlossen bleibt. „Für euch sind wir nur die asoziale Unterschicht. Kommt auf die Straße, ich geb’ euch etwas Unterricht.“ Der 19-Jährige singt von Hartz IV, Ausgrenzung, Zukunftsängsten, Überfällen, Prügeleien und von seinem „Hunger auf Wohlstand“: Job, Wohnung, Familie. Der Reinickendorfer gehört zum Team „Gangway Beatz“ vom Streetworker-Verein Gangway.

Während des Jahrs im Hip-Hop-Studio verschwand die harte Schale der Jungs, die Ängste, Identitätsprobleme und Sorgen dem Mikro entgegenschmetterten. Das Besondere: Gewaltverherrlichende, frauenfeindliche Texte – sonst in vielen Rap-Songs üblich – waren tabu. Statt übers „Plattboxen auf der Straße“ sangen die 50 Jungs und Mädchen, überwiegend mit Migrationshintergrund und aus allen Kiezen der Stadt, über ihren Alltag: die zuckerkranke Mutter, den trinkenden Vater, Abschiebeängste oder die strenge Erziehung. „Meine Stadt. Mein Leben. Meine Worte“, heißt ihre erste Platte, die am morgigen Freitag erscheint.

Streetworker Olad Aden hat das Projekt von Anfang an betreut. Bereits während der Themensammlung für die 21 Albumsongs sei ihm die Kinnlade heruntergeklappt, sagt der US-Amerikaner. „Ich habe in 20 Minuten mehr über die Gefühle, Ängste und Themen der Jungs und Mädels erfahren als in zwei Jahren Sozialarbeit.“ Verschlafen, keinen Bock haben, nichts zu Ende bringen – sonst oft in der Arbeit mit Straßenkids ein Problem – sei während des Projekts nie vorgekommen. Vielmehr hätten sich alle in die Albumproduktion gestürzt, sagt Aden. Die Gruppe „Zeugen der Zeit“ stellte dafür ihr Musikstudio zur Verfügung. Die komplette Finanzierung übernahm der Gangway-Verein. Ein Produzent aus London unterlegte abschließend die wütenden Zeilen mit professionellen Beats. Joe Bliese, alias Madog von „Zeugen der Zeit“, hat seine eigene Erklärung, warum die Jugendlichen so konzentriert bei der Sache waren: „Durch Rap wird Ehrlichkeit herausgekitzelt.“ Beim Schreiben der Texte setzen sie sich mit ihren Problemen auseinander, rappen ihren Frust von der Seele, als ob sie auf einen Sandsack hauen würden.

Für die Jugendlichen war die Platte oft der einzige Weg, Frust abzulassen. Viele teilen sich mit sechs, sieben Geschwistern und den Eltern eine Zwei- Zimmer-Wohnung, haben kaum Rückzugsmöglichkeiten und vertreiben sich tagsüber die Zeit in Internetcafés oder Wettbüros, sagt Aden. Die Straße als Raum der Freiheit. Die Clique als Familienersatz. „Hört gut zu und seht das Leben mal aus unserer Sicht“, rappt Erko im Titel „Unterschicht“. „Hier macht man Straßenüberfälle mit geladenen Waffen. Die Straße ist tückisch. Das normale Leben kenne ich nur flüchtig.“ Der Text mag so gar nicht zu dem 19-Jährigen passen, der beim Treffen artig die Hand gibt, verlegen lächelt und sich höflich für seine Unpünktlichkeit entschuldigt.

Klar sei bei den Texten Übertreibung dabei. Wenn sich verfeindete Jugendgangs auf der Straße in Berlin begegnen, würden keine Kugeln fliegen, wohl aber Fäuste. Hip-Hop sei immer auch das Spiel mit Klischees, Übertreibung und Gewalt. Frauen „dissen“, auf Schwule schimpfen, „Scheiße bauen“, andere Jugendliche „abziehen“, sprich ausrauben. „Gewalt gehört zu meinem Alltag dazu. Alles ist etwas extremer. Als Weichei überlebst du nicht“ sagt Erko.

Dass die großen Plattenlabels mittlerweile fast ausschließlich diese Vorurteile bedienen und sich Rapper wie Massiv, Sido oder Bushido lediglich als harte Gangster mit Knasterfahrung, Ghetto- Kindheit und Gewaltbereitschaft stilisieren, stört Erko nicht. Das sei künstlerische Inszenierung. „Wer das nicht sieht, hat einen Schaden.“ Auch Rapper haben Abitur, streben nach sozialer Anerkennung, streicheln ihre Katze und falten das Palästinensertuch nach der Wäsche ordentlich zusammen.

Überdies wurde der Hip-Hop ursprünglich in den USA von Afroamerikanern erfunden, die weg von der Gewalt wollten. Olad Aden, selbst jahrelang Streetworker in Amerika, hat das soziale Elend in den Armenvierteln von New York erlebt. Er habe dort Kinder gesehen, die sich selbst ernähren mussten, weil die Mutter drei Tage auf „Crack-Tour“ war.

Immer öfter steht Erko nun zwischen seinen Aushilfsjobs im Tonstudio und arbeitet an einer Gesangskarriere. Mitgenommen hat er aus dem Projekt seine ganz eigene Portion Selbstbewusstsein sowie die Professionalität, etwas auf die Beine zu stellen und bis zum Ende umzusetzen. „Ich hab’ was hingekriegt, was jeder sich anhören kann. Darauf bin ich sehr stolz.“

Die Record-Release-Party feiert Gangway Beatz am Freitag, 6. Juni, 19 Uhr, im Yaam, Stralauer Platz 35, in Friedrichshain. Eintritt: 5 Euro. Internet: www.myspace.com/gangwaybeatzberlin

Jörg Oberwittler

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