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Cheerleader

© Uwe Steinert

Rollstuhl-Cheerleader: Remmidemmi auf Rädern

Der Alba-Fanclub hat Europas erste Rollstuhl-Cheerleader-Gruppe gegründet. Geübt wird im Tanzstudio.

Die perfekte Cheerleaderin hat lange blonde Haare, eine athletische Figur, ist attraktiv und stets gut gelaunt – schlicht: perfekt. Während Leistungssport-Cheerleader überall auf der Welt mit immer atemberaubenderer Akrobatik gegen ihr Barbie-Klischee ankämpfen, haben die neuesten „Animier-Tänzerinnen“ von Alba Berlin die Branche um eine europaweit völlig neue Kategorie erweitert. Die jungen Frauen, die ab kommender Saison die Alba-Rollstuhl-Basketballer anfeuern wollen, sind weder Püppchen mit Puschel noch waghalsige Stunt-Girls: Sie cheeren im Rollstuhl.

„Links, rechts, links, rechts“, brüllt Tanztrainerin Andrea Dumbeck im Militärstakkato. „Und immer synchron bleiben!“ Aus den Lautsprechern wummert Jock Jams Muntermacher „Let’s get ready to rumble!“. Fredericke, Pamela und Nicole haben sich mit ihren Rollis vor der großen Spiegelwand des Tanzstudios in Linie gebracht. Heute sind sie nur zu dritt. Eine Kollegin hat sich entschuldigt. Ihr wurde gerade eine neue Niere transplantiert. Das Training könnte das neue Spenderorgan abstoßen. „Wir machen hier kein Behindertenschubsen, sondern leistungs- und erfolgsorientierten Sport“, sagt Christine Tiedge, die als 2. Vorsitzende des Alba-Fanclubs das Projekt ins Rollen gebracht hat.

Zum Aufwärmen lässt Dumbeck ihre Schülerinnen 180-Grad-Drehungen üben. Pamela schüttelt ihre Arme aus. Durch die vielen Jahre im Rolli und ihr liebstes Hobby, das Hand-Biken, hat die beidseitig unterschenkelamputierte Potsdamerin zwar ausreichend Bizeps. Doch nun steht die 26-Jährige vor einer völlig neuen Herausforderung: Sie muss mit den Armen interpretieren, was beim Cheerleading sonst die Beine tun: drehen, springen, hüpfen. Bis aus einer raumgreifenden Räder-Drehung eine blitzartige, punktgenaue Pirouette wird, bedarf es genauso viel Übung, wie man zum Einstudieren komplexer Tanzschritte benötige, erklärt Dumbeck. Die Kleinmachnower Tanzlehrerin hat 16 Jahre Erfahrung im Behindertentanzsport. Zuletzt montierte sie Aluplatten unter die Rollstuhlräder ihrer Schülerinnen und ließ sie „steppen“.

Gemeinsam mit vier nichtbehinderten „Fußgängern“ wollen die Rollstuhl-Cheerleader einen gemeinsamen, etwa zweiminütigen Dance-Act einstudieren. „Fußis“ und „Rollis“ seien dabei absolut gleichberechtigt. Darauf legen Tiedge und Dumbeck hohen Wert. Auf keinen Fall dienten die Rollis nur als effektvolle „Deko“. Am 11. Juli, beim Paralympics Day in Berlin, will das Team vor dem Brandenburger Tor erstmals beweisen, was es kann. Und ab Oktober 2009, so die Planung, feuern die Cheerleader die Rollstuhl-Basketballer von Alba Berlin bei ihren Heimspielen in der Max-Schmeling-Halle an.

Damit wären sie eine europaweit einzigartige Formation. Lediglich in Amerika habe es einmal ein vergleichbares, aber erfolgloses Projekt gegeben, so Dumbeck. Auch sie sei bereits kurz davor gewesen, ihren Traum von der ersten Rollstuhl-Cheerleader-Truppe Europas aufzugeben. Über ein Jahr lang suchten sie und der Alba-Fanclub nach geeigneten Rollstuhlfahrerinnen. Einfach sei das nicht gewesen, erinnert sich Tiedge: „In unserer Not haben wir einfach x-beliebige Rolli-Mädels auf der Straße angesprochen. Doch die haben uns alle den Vogel gezeigt.“ Kein Wunder, schließlich denke jeder bei Cheerleading in erster Linie an knappe Röckchen und halsbrecherische Stunts. „Und beides ist für Rollis nicht drin.“ Dass es letztendlich doch geklappt hat, vier Rollstuhlfahrerinnen für das Projekt zu begeistern, ermöglichte zumindest den Startschuss für die ersten Trainingsstunden. Weitere Interessentinnen seien daher herzlich willkommen. Andrea Dumbeck ist sich sicher: „Je größer die Truppe, umso mehr verrückte Ideen können wir umsetzen.“

Andrea Keil

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