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Bernd Matthies

© Kai-Uwe Heinrich

Satire: Knut? Nur ein Fisch mit Fell

Aus dem Eisbär soll Sushi werden, Jopi Heesters wird Staatsopernchef und der Schlossbau kommt gehörig ins Trudeln – Bernd Matthies hat schon mal auf 2009 zurückgeblickt.

JANUAR

Schon in der Neujahrsnacht werden die Blicke der Berliner auf kommendes Unheil gerichtet. Ein etwa zwölfjähriger Junge erobert das Bühnenmikrofon vor dem Brandenburger Tor und teilt den Zuschauern mit: „Neue Jahr kommt echt voll scheiße, isch schwör. Mit scharf Soß und alles!“ In den kommenden Wochen wird Umut Ü. von den Medien zum „Neuköllner Krisenpropheten“ ernannt. Er verrät in „Stern TV“ sein Lieblingsrezept für Döner, gibt der „New York Times“ ein Interview und gerät bei Anne Will – Thema: „2009 lieber überspringen?“ – in einen heftigen Streit mit Finanzminister Steinbrück: „Ey, produzier misch nisch, Alda, isch mach disch Krankehaus!“ Lieber nicht, antwortet Steinbrück, er habe gerade bei seiner Versicherung die Selbstbeteiligung erhöht.

FEBRUAR

In einer Berliner U-Bahn kommt es zu einer Massenschlägerei. Der Grund: Spendensammler des „Straßenfegers“, des Fördervereins für das Stadtschloss, des FDP-Bundesvorstands und der Heilsarmee hatten sich nicht einigen können, wem ein auf den Boden gefallenes 50-Cent-Stück gehört. Finanzsenator Sarrazin weist die Oberfinanzdirektion an, ab 1. März für die Bearbeitung von Einkommensteuererklärungen einen Stundensatz von 89,90 Euro in Rechnung zu stellen. Durchschnittlich werden so etwa 250 Euro pro Erklärung fällig, bei Widerspruch das Doppelte. Sarrazin weist Proteste mit dem Hinweis zurück, dies sei gängige Praxis in jeder Autowerkstatt, „und da kommen sogar noch Kleinteile und Mehrwertsteuer drauf“.

MÄRZ
Jürgen Flimm (67), designierter Intendant der Staatsoper, rückt überraschend für Klaus Wowereit auf den Stuhl des Berliner Kultursenators nach. Sein Nachfolger als Intendant wird Johannes Heesters (105), der die Spielzeit 2010 im Schillertheater, dem Übergangsspielort, mit einer Neuinszenierung der „Lustigen Witwe“ eröffnen will. Flimm lobt vor der Presse, Heesters mache die Arbeit für einen symbolischen Euro und habe auf jeden Pensionsanspruch verzichtet.

APRIL
Die Deutsche Bahn stoppt aus Kostengründen die ohnehin schon geschrumpften Pläne für den Gleisanschluss des Flughafens BBI. Bahnchef Mehdorn sagt zur Begründung, es müsse da draußen auch ohne öffentliche Verkehrsmittel gehen, „das ist ein Konjunkturprogramm für die Autoindustrie“. Auch die Baupläne werden verschlankt: Durch die nur noch partielle Überdachung des Terminals im Bereich der Business- und First-Class-Abfertigung sowie bei den Autovermietern können circa 85 Millionen Euro gespart werden, weitere 97 Millionen durch den innovativen Bau einer einzigen kreisförmigen Endloslandebahn.

MAI

Die zweite Wettbewerbsstufe für die Umwandlung des Flughafens Tempelhof endet mit einem verblüffenden Ergebnis. Da nach der ersten Stufe im Januar sämtliche möglichen Investoren in Konkurs gegangen sind und deshalb nur noch eine Bausumme von 35 000 Euro sowie ein Preisgeld von 7,95 Euro zur Verfügung stehen, liefert allein der Aktionskünstler Jonathan Meese einen Entwurf ab: Sein siegreicher Masterplan sieht vor, mit mehreren Tonnen Kressesamen einen riesigen erigierten Penis auf dem alten Flugfeld auszusäen, dazu das Wort „Rosinenbomber“ in 20 Meter großen Buchstaben. Klaus Wowereit sagt in einer ersten Stellungnahme, es handele sich um einen gewagten Entwurf, der zum Nachdenken anrege, er könne sich allerdings vorstellen, dass das Konzept noch überarbeitet werden müsse. Friedbert Pflüger, Chef der Adenauer-Stiftung in Addis Abeba, lässt ausrichten, er prüfe die Möglichkeit eines Volksentscheids gegen diesen Plan.

JUNI
Finanzminister Steinbrück muss einräumen, dass der Kapitalmarkt die 323 Milliarden Euro nicht hergibt, die er zur Finanzierung des Bundeshaushalts leihen wollte. Deshalb wendet er sich direkt an die Bürger und wirbt in lockerer Kleidung vor dem KaDeWe: „Guten Tag, mein Name ist Peer, und ich verkaufe die neueste Ausgabe der Staatsanleihe. Sie kostet 500 Euro, und das Geld ist für einen guten Zweck bestimmt, nämlich die Rettung der öffentlichen Haushalte. Verzinst wird es nicht, aber wenn Sie Glück haben, gibt es irgendwann einen Teil der Summe als Einkaufsgutschein zurück.“ Die Resonanz bei der Presse ist gewaltig, die Wirkung der Aktion gering. Ein Sprecher des Ministers bestätigt, dass Steinbrück in zwei Stunden drei Äpfel, ein angebissenes Wurstbrot und einen 100-Rubel-Schein eingesammelt habe.

JULI
Die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs wird mit einem Streit eröffnet. Die SPD plakatiert ihre Kandidaten mit dem Satz „Ja, wir können’s!“, während die CDU das Obama-Motiv „Yes, we can!“ regional abwandelt und in Berlin beispielsweise „Klar, wir könn’ det!“ verspricht und in Sachsen „Nu, mr gönn dis ooch!“. Während die Parteien um die Urheberrechte zanken, sickert durch, dass die Linkspartei ihre Kampagne mit dem Motto „Jawoll, Oskar kann!“ gestoppt hat.

AUGUST

Die CDU ist insolvent. Generalsekretär Pofalla muss zugeben, dass die Anlage des Parteivermögens im Happy-Billionaire-Fonds des US-Milliardärs Steven W. Zocker „keine gute Idee“ war – der Fonds hatte sich als langjährig ausgebautes Schneeballsystem entpuppt und circa 995 Milliarden Dollar vernichtet. Die CDU/CSU löst sich auf, Angela Merkel, Michael Glos und Ursula von der Leyen treten in die SPD ein, die sich in ersten Umfragen sofort von 18 auf 19 Prozent steigern kann. SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier räumt ein, dass eine Neuauflage der großen Koalition damit schwer geworden sei.

SEPTEMBER
Die Bundestagswahl bringt SPD, FDP, Grünen und Linkspartei jeweils rund 22 Prozent der Stimmen. Bundeskanzlerin Merkel teilt mit, sie sei darauf vorbereitet, eine sehr lange Zeit geschäftsführend im Amt zu bleiben. Bundespräsident Köhler lässt bei Helmut Schmidt diskret nachfragen, ob dieser bis auf Weiteres als behelfsmäßiger Zivilkaiser einspringen könne. Die Antwort enttäuscht: Wer solche Visionen habe, der solle zum Arzt gehen.

OKTOBER
Ein Brief aus Japan erregt Aufsehen in Berlin. Ein anonymer Bieter offeriert umgerechnet 245 000 Euro für – Knut. Für diese Summe müsse eine arme Lehrerin lange stricken, kommentiert Finanzsenator Sarrazin, und Zoodirektor Blaszkiewitz bekräftigt, es sei „Zeit, dass der Lümmel Knut sich mal den Wind der weiten Welt um die Nase wehen lässt“. Unmittelbar vor Geschäftsabschluss wird allerdings bekannt, dass es sich bei dem vermeintlichen Privatzoobesitzer um den Küchenchef des berühmten Tokioter Sushi-Restaurants Sukiyabashi Jiro handelt. Eine Boulevardzeitung zitiert ihn mit den Worten, Eisbär sei „auch nur Fisch mit Fell“. Eine riesige Prominentenkampagne in Berlin verhindert den Verkauf. Umut Ü., der neue Jugendbeauftragte des Berliner Senats, vergreift sich dabei allerdings im Ton: „Knut gib geil Döner, Alda. Mit scharf Soß und alles.“ Knut selbst bohrt sich demonstrativ in der Nase.

NOVEMBER
Die Krise der öffentlichen Haushalte lässt auch den Plan für den Aufbau des Schlosses ins Trudeln geraten. Die Baukosten für den Stella-Entwurf sind innerhalb eines Jahres auf 895 Millionen gestiegen, ohne Innenausbau und Erschließung. Klaus Wowereit schlägt eine kostengünstige Zwischennutzung nach dem Vorbild des Flughafens Tempelhof vor, Jonathan Meese reicht am nächsten Tag einen Entwurf ein, in dem Kressesamen eine große Rolle spielen.

DEZEMBER
Tout Berlin trifft sich Silvester im Schillertheater, wo die Ära Heesters mit einer glanzvollen Premiere der „Lustigen Witwe“ beginnt. Heesters selbst gibt den Grafen Danilo, als Hanna debütiert Kader Loth, als Baron Mirko rappt sich Umut Ü. in die Herzen der Zuschauer, und der reiche Bankier Glawari wird von einem steppenden Eisbären dargestellt, der wie Knut aussieht und „Cheek to cheek“ singt. Um Mitternacht entzündet der Finanzsenator vor der Tür einen Knallfrosch und hält eine kurze Ansprache: Berlin verstehe es, sagt er lobend, auch ohne Geld fröhlich zu sein.

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