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© Zentralbild

Schillertheater: Ende ohne Nachspiel

Es war die Bühne der großen Stars: Minetti, Raddatz, Berta Drews, Sabine Sinjen. Das Schillertheater war das renommierteste Theater West-Berlins. 1993 ließ der Senat das Haus aus Kostengründen schließen – ein Skandal, der aber ohne Konsequenzen blieb.

Von Susanne Leimstoll

Der Beschluss im Berliner Abgeordnetenhaus fiel am 16. September 1993, 20.42 Uhr. Eine Mehrheit entschied, die Staatlichen Schauspielbühnen, die dem Etat mit jährlich 43 Millionen D-Mark zur Last fielen, aus Kostengründen zu schließen: Schillertheater, Schlosspark-Theater und Schillertheater-Werkstatt. Die Freie Volksbühne war da schon dicht. Die IHK kommentierte, es sei „ein schmerzlicher Schnitt in die traditionsreiche Kulturlandschaft der Stadt“. Die Hotel- und Gaststätteninnung bemerkte erschrocken: „35 Prozent der Touristen reisen aufgrund des Kulturangebots nach Berlin und ein Drittel von ihnen besucht eine Veranstaltung im Theater oder der Oper.“ Olaf Schwencke, Präsident der Hochschule der Künste, befand: „Eine Untat. Berlin hat sich mit der deutschen kulturellen Provinz gemein gemacht.“ Ulrich Roloff-Momin, zuständiger Kultursenator in Eberhard Diepgens großer Koalition, Vollstrecker des Beschlusses, trug ab sofort den Beinamen „Schiller-Killer“.

Die Kulturszene reagierte zwar entrüstet, aber die Konsequenzen blieben letztlich aus. Der Tod der Vorzeigebühne in der Bismarckstraße, zu deren festem Ensemble noch zwei Jahre zuvor Schauspieler wie Bernhard Minetti, Walter Schmidinger, Sabine Sinjen, Angelika Domröse, Hilmar Thate gehört hatten, auch Susanne von Borsody, Heino Ferch, Sebastian Koch, Ulrich Noethen, Christian Berkel, Katharina Thalbach, war bedauerlich, mehr offenbar nicht. Das letzte feste Ensemble, etwa 50 Leute, erfuhr das Ende aus den Nachrichten. Einige waren für die Schließung gewesen, aber nur, um das frühere Subventionsobjekt reformiert, vielleicht gestützt von Sponsoren wiedereröffnet zu sehen. Aber wann – irgendwann? Regie-Legende Boleslaw Barlog wetterte: „Ein Theater ist keine Würstchenbude!“ Vergeblich.

Der Verlust tut heute im Herzen nicht mehr so weh. Schauspieler Thomas Schendel, damals, 36 Jahre jung, Ensemblesprecher und Garderobenkollege von Bernhard Minetti, erinnert sich gelassen-resigniert an das Ende der Spielstätte. „Traurige Schließung? Den meisten war’s wurscht. Der Westen war zu satt, alles schielte auf die Bühnen im Osten Berlins. Kritiker und Feuilletons hatten sich auf das Schillertheater eingeschossen: zu provinziell, hieß es.“ Schendel wohnte damals in der Nähe seines Arbeitsortes. Am Tag der Schließung sagte sein Hausmeister: Gott sei Dank, jetzt werden da wieder Parkplätze frei. „Nie mehr habe ich so deutlich erlebt, wie etwas so lieblos fallen gelassen wurde“, sagt Schendel. Aufstand des Publikums? Fand nicht statt. „Den Zuschauern blieb am Schluss gar keine Zeit, sich an ein neues Ensemble zu gewöhnen, sich emotional zu binden.“ Schnelle Intendantenwechsel, Kündigungen im Ensemble, die großen Alten wie Horst Bollmann, Carl Raddatz, Martin Held waren gegangen. Heute beklagt Berlin das Ausbluten seines alten Westens. „Der große Aufstand um die Ku’damm-Bühnen ist eine späte Lehre aus der Schillertheater-Pleite“, glaubt Schendel.

Das Ende des Hauses war schäbig. Manches blieb Thomas Schendel im Sinn. Die Zeit des Plünderns etwa. Gewandmeister, Respektspersonen hinter der Bühne, Instanzen in langem weißem Arbeitsmantel, die Schere in der Brusttasche wie der Arzt das Stethoskop, verloren ihren Rang. „Das Theater war gerade abgewickelt, da kamen ständig Leute mit Laufzetteln rein, vom Senat unterschrieben, um sich Kostüme auszuleihen. Irgendwann waren auch die Zettel unwichtig geworden, es herrschte ein einziges Tohuwabohu. Was die Gewandmeister auf den Leib geschneidert hatten, was gepflegt und sortiert war, wurde einfach rausgeschleift. Ich sehe das noch: Einer dieser Gewandmeister, betrunken in einem Wäschekorb sitzend, winkt die Leute nur noch durch. Sein Lebenswerk, verhökert. Zu der Zeit hatten sie aus dem Theater schon einen Steinway geklaut.“

Die Zeit der Stillosigkeit. Zwei Jahre später, das Schillertheater ist vorübergehend Musicalbühne: An den Pförtnern am Bühneneingang stapfen die englischsprachigen Darsteller vorbei. Knappe Anweisung: „Give me the key!“ Bei einem Besuch sieht Thomas Schendel, wie sich die beiden Pförtner verbarrikadiert haben: Ihr Glaskasten ist von innen mit Zeitungen abgeklebt. Dahinter hört er sie schimpfen und räsonieren. Sie haben einen Zettel an eine freie Stelle der Scheibe geklebt, darauf steht: Here no key! „Der letzte sinnlose Widerstand eines gefrusteten Pförtnerduos.“ Thomas Schendel lächelt, zuckt die Schultern. „Auf der letzten Versammlung saßen 600 Beschäftigte im Zuschauerraum. Vorn quasselte der Senator. Da hat ein Techniker ihm einfach das Licht auf der Bühne abgeschaltet. Unten, im Zuschauerraum, war es totenstill.“ Abgang im Halbdunkel. Kein Applaus. Susanne Leimstoll

Thomas Schendel, 53, Schauspieler und Regisseur, war von 1986 bis 1993 festes Ensemblemitglied am Schillertheater, spielte davor u. a. in Bochum, hinterher lange in Wien. Schendel lebt seit insgesamt 24 Jahren in Berlin. Derzeit probt er in Hamburg.

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