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Serie: Tanzen lernen (4): Schöner Gigolo, armer Gigolo

Die wilden Zwanziger waren in Berlin die große Zeit der Eintänzer. Einer von ihnen hieß: Billy Wilder.

„Sonnabend ist der schlimmste Tag für die Tänzer. Alle Säle sind bis auf das letzte Plätzchen voll. Auf dem Parkett drängen sich 50 Paare, treten einander auf die Füße, keuchend und boxend. Eine einzige Fleischmasse, im Rhythmus wie Sülze zitternd. Es ist ein Tag, an dem der Eintänzer ein paar Pfunde von seinem Gewicht verliert, aber meist nicht einen Pfennig verdient.“ Nein, der Beruf, den Billy Wilder 1926 zwei Herbstmonate lang in Berlin ausüben musste, war kein Zuckerschlecken. Angestellt war er im piekfeinen Hotel Eden an der Kreuzung Kurfürsten-, Nürnberger und Budapester Straße (damals noch Teil des Kurfürstendamms), und das bedeutete zwei freie Mahlzeiten pro Tag, 150 Mark Monatslohn, dazu Trinkgelder. Aber es war auch täglicher Frondienst auf dem Parkett, nachmittags von halb fünf bis sieben, abends von halb zehn bis eins: „Wunschlos, lustlos, ohne Gedanken, ohne Meinung, ohne Herz, ohne Hirn. Hier gelten nur meine Beine, die dieser Tretmühle gehören und gegen die sie zu stampfen haben.“

Der Eintänzer war eine typische Erscheinung der zwanziger und frühen dreißiger Jahre, gerade in Berlin. Nachdem Krieg und Inflation überstanden waren, hatte eine unbändige Tanz- und Amüsierlust die Stadt ergriffen, eine Gier nach Ablenkung vom tristen Alltag. „Millionen von unterernährten, korrumpierten, verzweifelt geilen, wütend vergnügungssüchtigen Männern und Frauen torkelten und taumelten dahin im Jazz-Delirium. Der Tanz wird zur Manie, zur idee fixe, zum Kult“, schrieb 1923 Klaus Mann. Gleichzeitig aber, Folge des Krieges, herrschte akuter Männermangel, und das war für die unzähligen Tanzlokale und -paläste wie auch die vornehmen Hotels mit ihren Fünf-Uhr-Tanztees fatal. Miettänzer mussten her, für die alleinstehenden, womöglich verwitweten Damen und auch die mit zwar lebendigen, auf der Tanzfläche aber nicht zu gebrauchenden Partnern. Für manchen verarmten Adeligen oder entlassenen Offizier, der aus seinem früheren Leben nicht viel mehr als ein tadelloses Benehmen und eben tänzerisches Können gerettet hatte, war dies die einzige Chance, sogar in einen Schlager fand das 1929 Eingang: „Schöner Gigolo, armer Gigolo, denke nicht mehr an die Zeiten, wo du als Husar, goldverschnürt sogar, konntest durch die Straßen reiten ...“

Auch Billie Wilder, wie er sich damals noch schrieb, war nicht freiwillig in die Welt der Tanztees geraten. In Berlin saß der junge Journalist nach anfänglichen Erfolgen auf dem Trockenen – bis er einen Bekannten aus Wien traf, Profitänzer und samt Partnerin im Eden engagiert, der ihn vermittelte. Wilders besonderer Vorzug: Als einer der Ersten in Berlin konnte er Charleston tanzen, Nebeneffekt seiner Arbeit als Reporter, die ihn auch zu den „reizenden schwarzen Girls“ der Revue „Black People“ ins Metropol geführt hatte. Die „zwanzig seidenstrumpfumspannten Herrlichkeiten“ hatten ihm gleich den neuen Modetanz beigebracht, hinterher glichen seine Beine „einer Ziehharmonika“, wie er schrieb. Auch die Zeit als Eintänzer konnte Wilder später als Reportage verkaufen: Eine seiner Tanzpartnerinnen erwies sich als die Schauspielerin Carola Neher, deren Mann, der Dichter Klabund, ihn an die „B.Z. am Mittag“ vermittelte. Nach einer vierteiligen Serie war der junge Reporter erst mal saniert.

Erscheinen die zwanziger Jahre im Rückblick wie ein einziger Tanz auf dem Vulkan, war spätestens 1933 mit der Tanzsucht erst mal Schluss, stattdessen wurde marschiert, bis zum bitteren Ende. Nach dem Krieg wurde der Wunsch, auf dem Parkett den grauen Alltag zu vergessen, bald wieder übermächtig. „In den Ruinen blüht die Lebenslust“, beschrieb der Tagesspiegel Anfang 1946 die Stimmung, meldete auch, dass wieder 50 Tanzschulen in Berlin ihre Dienste anbieten und eifrig genutzt werden – ein Trend, den auch ein Brand in einem Spandauer Tanzlokal am 8. Februar 1947 mit 82 Toten nur kurz stoppen konnte. Während sich aber in den Zwanzigern die Modetänze im Eiltakt ablösten, liebte man es nun traditionell und wünschte sich vom Kapellmeister am allerliebsten Musik von damals: die Schlager der Vorkriegszeit.

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