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Sex-Charity in Berlin-Friedrichshain: Pornos für den Regenwald

Sie wollen Gutes tun – und Spaß haben. Umweltaktivisten sammelten durch Filme und Fotos schon 500 000 Euro. Einige Linke und Ökos sind entsetzt.

Keiner kann ihnen vorwerfen, sie machten ein großes Geheimnis daraus, was genau sie da eigentlich tun. Auch der norwegische Beamte nicht, der ihnen damals eine finanzielle Starthilfe genehmigte, was dann dessen Vorgesetzte alarmierte und zum sofortigen Stopp jeglicher Unterstützung führte, als sich rumsprach, wie die Gruppe heißt: „Fuck for Forest“.

Die Menschen im Westen haben die Verbindung zur Natur verloren und auch zu ihrem eigenen Körper, sagt Tommy Hol Ellingsen, der Mitbegründer. Es sei Zeit, beides wiederherzustellen. Also drehen die Umweltaktivisten Pornos und laden sie im Internet hoch. Wer sie angucken will, muss sich registrieren und jeden Monat zwölf Euro spenden. Das Geld soll dann Hilfsprojekten zum Erhalt des Regenwalds zugute kommen. Echt wahr.

Es gibt nun einen Dokumentarfilm, gedreht von einem polnischen Regisseur, der über die Gruppe in der Zeitung las und sich dachte: Die müsste man mal begleiten. Beim Aufnehmen von neuem Material, beim Rekrutieren von Freiwilligen, beim Auskundschaften unterstützenswerter Regenwaldprojekte. Übernächste Woche startet der Film in den deutschen Kinos, er heißt wie die Gruppe.

Man könnte das alles für einen Bluff halten. Für einen Streich, um Medien und Zuschauer zu veräppeln, eine Mischung aus Borat und Banksy-Film. Aber wenn, dann ist es ein sehr, sehr langfristig geplanter Streich. Wer im Internet sucht, findet schon aus dem Jahr 2004 erste Hinweise auf die Existenz von „Fuck for Forest“.

Außerdem kann man sie besuchen. Sie haben ihr Hauptquartier in Berlin-Friedrichshain eingerichtet. In einer kleinen Wohnung im ersten Stock, Nähe Frankfurter Tor, über einem Fahrradladen. „Wir freuen uns über eine Spende“, stand in der Einladungsmail. Und bitte kein Geld, sondern Gemüse. Also Tomaten, Salat, Kartoffeln und Lauch gekauft, natürlich im Biomarkt. Diese Hippies würden sicher merken, wenn’s vom Discounter ist.

Die Haustür steht offen, ein Hund bellt. Eine Frauenstimme sagt: „Musst nicht anklopfen.“ Das ist keine Wohnung. Das ist eine Höhle. Drei Zimmer, vollgestellt mit Krams, Tücher hängen, Jim Morrison blickt von einem Banner herab. Sieht aus, als hätten die Mieter ein Faible für selbstgemalte oder gebastelte Geschlechtsteile. Sie hängen an der Wand, sie zieren Schalen und Plakate. „Danke für das Gemüse“, sagt ein kleiner, langhaariger Mann mit Hut.

Tommy Hol Ellingsen hat „Fuck for Forest“ mitgegründet. Eigentlich ist er gerade beschäftigt, er will im Nebenraum auf seinem Rechner neue Fotos für die Webseite bearbeiten. Sie zeigen ihn zwischen zwei Paar Brüsten. Der Tommy auf dem Foto grinst albern. Der echte Tommy schaut ernst und sagt, Spaßhaben gehöre zu ihrem Projekt dazu.

Mehr als 1300 Menschen haben schon mitgemacht

Sie seien eine der „bizarrsten Wohltätigkeitsorganisationen des Planeten“, heißt es in der Ankündigung des Filmverleihs. Damit kann Tommy Hol Ellingsen nichts anfangen. Leona Johansson auch nicht, sie ist der andere Kopf der Gruppe, sie trägt ein großes Vagina-Tattoo überm Ausschnitt. „Bizarr sind wir höchstens aus der Sicht der Gesellschaft“, sagt sie, „für uns ist aber die Gesellschaft bizarr.“ Weil sie Lust unterdrücke. Und weil sie Natur zerstöre. „Da draußen passiert eine Menge Mist. Wir sind nicht das Problem.“ Im Gegenteil, sie möchten die Lösung sein.

Auf der Couch am Fenster sitzen Lena und Tabea. Sie wohnen hier nicht, sind bloß zu Gast, genau wie Robin. Der hat sich gerade die Hose ausgezogen, sein Pullover bleibt an. So läuft er nackt durchs Zimmer.

Dass sie nach Berlin gezogen sind, hat mit dem Ärger zu Hause in Norwegen zu tun. Die Gründer mussten vor Gericht, weil sie Sex in der Öffentlichkeit hatten, auf der Bühne eines Rockkonzerts.

Mittlerweile liegen tausende Fotos und Videos auf dem Server der Organisation. Mehr als 1300 Menschen haben Material zur Verfügung gestellt oder sind gleich persönlich vorbeigekommen, um sich in der WG oder in einem Berliner Park filmen zu lassen. Fast so viele Leute spenden jeden Monat, um Zugriff zu haben. Was sind das wohl für Typen: Umweltschützer oder gewöhnliche Pornokonsumenten? „Im Grunde interessiert uns das nicht“, sagt Leona Johansson. „Aber wahrscheinlich wollen die unseren Kampf doch unterstützen.“ Das glaubt sie schon allein deswegen, weil es unendlich viele Gratispornos im Internet gibt. Warum sollte einer da bezahlen, wenn er nicht helfen will?

„Fuck for Forest“ hat auch viele Feinde. Menschen, die Pornos eklig finden. Oder unmoralisch. Oder die sagen, die Werke unterschieden sich kein bisschen von dem Hardcore-Zeugs aus der Videothek, in dem Muskelmänner über immergeile Frauen herfallen. „Heteronormativ“ ist so ein Schlagwort, das die Macher von „Fuck for Forest“ in linken Kreisen öfters zu hören bekommen. „Was für ein absurder Vorwurf“, sagt Tommy. Er sei nunmal überwiegend an Frauen interessiert, das könne man ihm nicht vorwerfen, und, ja klar, er würde sich freuen, wenn künftig mehr Homosexuelle eigene Filme beisteuerten.

Eine junge Frau stellt einen Teller mit geschmierten Broten auf dem Teppich ab. Bärlauchpaste mit Käse. Ist leider nicht vegan, sagt sie, aber gleich komme noch mehr.

Einmal wäre „Fuck for Forest“ fast von einem anarchistischen Kongress ausgeschlossen worden, weil andere Teilnehmer nicht gut fanden, dass sich die Mitglieder plötzlich auszogen. Dabei hatten wir damit gar nicht angefangen, sagt Tommy.

Sicher ist: Bei ihren Produktionen gibt es weder Drehbuch noch Regieanweisungen. Sie nehmen auf, was gerade passiert. Und die Akteure werden nicht bezahlt, nur Kondome gibt’s umsonst. Manche sind Freunde, andere wurden auf der Straße angesprochen, ob sie nicht Lust hätten, sich einzubringen. Die Ablehnquote sei hoch, sagt Tommy. Manchmal kriegten sie dutzende Körbe hintereinander. Aber dann klappe es wieder. Erstaunlich viele machten mit, wenn der Vollmond bevorstehe oder gerade gewesen sei.

Es gehe auch darum, Stolz auf seinen Körper zu entwickeln. Und sich einzugestehen, dass man ihn nicht nur einer einzigen Person zeigen wolle. Monogamie und Eifersucht machten nicht glücklich.

Sie helfen in Brasilien, Ecuador und Costa Rica

Neun Jahre nach Gründung haben sie mit ihrer Idee bereits eine halbe Million Euro gesammelt. Große Umweltschutzorganisationen wie der WWF haben Kooperationsangebote abgelehnt. Sie fürchteten um ihren guten Ruf. In Europa hätte es womöglich nur einen kleinen Aufschrei gegeben, sagt der deutsche WWF-Sprecher, vielleicht wäre man in der „Bild“ gelandet. Aber wie bitte hätte man diese Zusammenarbeit zum Beispiel den Kollegen in Pakistan erklären sollen?

Stattdessen unterstützen „Fuck for Forest“ nun lokale Projekte in Brasilien, Ecuador und Costa Rica. Sie haben Regenwaldflächen gekauft und kleine Naturreservate gegründet. Derzeit liegen noch 360 000 Euro auf dem Konto, sagt Leona. Einen Teil davon möchten sie dieses Jahr für ein weiteres Projekt nutzen: In ganz Lateinamerika wollen sie Orte finden, an denen die Menschen bereit sind, altes Wissen über Medizinpflanzen weiterzugeben. Ein Pfad des Wissens von Mexiko bis Argentinien.

Vor zwei Jahren waren sie bereits einmal im Amazonasgebiet. In Begleitung des Filmteams, als dramaturgischer Höhepunkt der Doku. Im Regenwald Brasiliens trafen sich die Aktivisten mit Vertretern zweier Stämme, deren Gebiete vom Raubbau der Farmer bedroht waren. „Fuck for Forest“ wollten anbieten, den Stämmen insgesamt 800 Hektar Land zu kaufen. Das Treffen endete im Chaos, wütende Einheimische forderten die Aktivisten auf, zu verschwinden. Sie vertrauten keinen Europäern. Und schon gar keinen nackten.

Fragt man Tommy Hol Ellingsen, was er aus der Reise gelernt habe, dann guckt er traurig und redet noch schneller als sonst. „Ich hasse den Film“, sagt er. Die Macher hätten von Anfang an geplant, „Fuck for Forest“ als Haufen naiver Spinner dazustellen, als Protagonisten einer Freakshow. „Allein wären wir nie zu den Stämmen gereist, wir haben eigene Netzwerke und wissen, wie man sensibel Kontakte knüpft.“ Der gesamte Trip und das Treffen seien ein Wunsch der Filmcrew gewesen, die habe auch alles bezahlt. „Wir sollten aussehen wie Verlierer.“ Trotzdem wissen sie, dass der Film ihnen nutzen wird, weil er Öffentlichkeit bringt. Wenn die Doku am 11. Juni zum ersten Mal in Berlin gezeigt wird, werden sie hingehen. Und im Anschluss eine Party mit dem Motto „Der Film ist eine Lüge“ feiern.

Die Tür geht auf, Robin und Loreley kommen aus dem Nebenzimmer. Er trägt immer noch keine Hose. Sie sagen, sie hätten gerade Sex gehabt, aber sie wollten das Interview nicht stören, deswegen lieber nebenan.

Leona Johansson sagt, sie verstehe, wenn andere Menschen zunächst irritiert seien. Über ihren Lebensstil, über ihre Art zu helfen oder über den Film. Da ist zum Beispiel die Szene, in der Tommy Hol Ellingsen nach einer Sexperformance auf seine Hand runterschaut und sagt „Blut und Sperma, der perfekte Mix“ und dann genüsslich jeden Finger einzeln ableckt. Das gefällt sicher nicht jedem, sagt sie, und doch sei es natürlich.

Es mag gute Gründe geben, sich von dieser Gruppe fernzuhalten, sich die Videos nicht anzuschauen, das Geld anders zu spenden. Aber wer einen Nachmittag in ihrer WG verbringt, der ahnt: An diesen Menschen wird die Welt ganz sicher nicht zugrunde gehen.

Leona und Tommy wollen Berlin bald verlassen. Die Gruppe hier ist inzwischen so groß, sie werde auch ohne ihre Gründer weiter existieren. Stattdessen möchten sie nach Mexiko ziehen, das neue Projekt realisieren. Berlin soll vorläufig ohne sie klarkommen.

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