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Silvesternacht: Knall auf Knall

Bratwurstduft bei minus vier Grad, lange Schlangen vor Unisex-Toiletten und das erste Baby 2009: Impressionen aus der Silvesternacht.

Der Höhepunkt ist kurz: Die dick eingepackten Menschen zählen die Sekunden rückwärts, Louis Armstrong preist die „Wonderful World“, schon zischt’s und kracht’s, die Sterne fallen vom Himmel, eine Million Menschen küssen sich selig ins Jahr 2009. Das beginnt am Brandenburger Tor als grandiose Disco-Nacht, unbeschwert, fröhlich, sorglos, vielsprachig. Seit dem Nachmittag sind die Massen zwischen der Bühne am Tor und der Siegessäule hin- und hergeschlendert, vorbei an Verkaufsständen, Partyzelten, Videowänden. Ein Riesenrad bereichert die Kirmesstimmung mit Glühwein- und Bratwurstdurft bei minus vier Grad. Eine Reporterin vom polnischen Fernsehen ist begeistert, „wir wollen zeigen, wie unsere Nachbarn feiern“. Eine Wienerin ist angereist, „weil ich so viel vom Berliner Silvester gehört habe“, ein Mann mit Hertha-Hut findet’s „janz schau, wat hier läuft“. Lo.

Von der anschwellenden Wirtschaftskrise können offenbar auch Champagner und Austern, kanadischer Hummer und ausgesuchte Weine nicht dauerhaft ablenken. Das zeigt sich bei der Silvestergala im Hotel Westin Grand an der Friedrichstraße, bei der die Gäste das neue Jahr mit Tanz und einem edlen Menü begrüßen. Dass so mancher 2009 trotz des opulenten Rahmens mit gemischten Gefühlen empfängt, ist bei den Tischgesprächen zu spüren. Da geht es oft um gefallene Aktienkurse und den düsteren Ausblick auf die Wirtschaftslage des neues Jahres. Dass die Stimmung trotzdem bis in die späte Nacht gut ist, dürfte an der Kunst von Küchenchef Peter Hampl und seinem Team ebenso liegen wie an dem Television Show Orchester mit Sängerin Jacqueline Boulanger, das die kleine Tanzfläche mit Swing und Pop so gut füllt, dass es eng wird. lvt

Je abgerockter, desto angesagter, so lautet noch immer die einfache Partyregel für die hippen Jungs und Mädchen aus Berlins Mitte und Umgebung. Dieses Jahr zieht es sie auf das Gelände der ehemaligen Bötzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee, wohin die Partyveranstalter Minh Chung und Tack Yen To zusammen mit den Betreibern des Clubs Deep eingeladen haben. Durch die kahlen Treppenhäuser geht es für die mehr als 1500 Gäste hinauf und hinunter zu den verschiedenen Ebenen des verwinkelten Gebäudes, verschiedene DJs legen hier von 80er-Pop bis feinstem Minimal-House auf. An provisorischen Bars werden Getränke ausgeschenkt, verschlissene Sofas dienen als Chill-Out-Zone. Oder Knutschzone. Denn die langen Schlangen vor den Unisex-Toiletten, die Männer und Frauen zusammen benutzen müssen, bieten gleich Gelegenheit zum Anbandeln. Einen der besten Blicke aufs Feuerwerk gibt es aus dem Loft im obersten Stock. Für einen Moment verlieren dabei sogar die Hippsten ihre Coolness.sop

Prenzlauer Berg ist eben doch ein Kinderbezirk. Selbst um Mitternacht bevölkert der Böllernachwuchs die Straßen rund um den Helmholtzplatz. Nicht dass sie selbst zündeln würden, sie schauen aus sicherer Distanz ihren Vätern zu. Vor jeder Partygruppe, die vor einer Haustür mit Sekt und Böllern ins neue Jahr rutscht, turnen Kinder herum. In den Kneipen ist das Bild anders. Im „Kakao“ gibt es heute, eher untypisch für den Prenzlauer Berg, Hip-Hop und viele BWL-Studenten. Typischer ist es da schon im neuen Intersoup, Schliemannstraße Ecke Stargarder. Eine Balkan-Coverband mit Kontrabass läutet 2009 ein. Sehr laut, lang und fröhlich ist es. Die Kinder aus der Nachbarschaft würden davon sicher aufwachen. Wenn sie schon schlafen würden. ctr

Das Beste an einer Motto-Party ist doch immer noch der Gast, der nicht mitbekommen hat, dass es ein Motto gibt. Der steht dann zum Beispiel mit Jeans und Pullover in einem Schöneberger Wohnzimmer zwischen Filmstars, Cowboys und Prinzessinnen – und muss sich anhören, dass sein Outfit ja eigentlich nur unter dem Titel „Glamour“ laufen könne. Na gut! Zumindest hat der Gastgeber Humor. Und die anderen sind um neun schon ausreichend angeschickert, um gar nicht mehr ans Motto zu denken. Die freuen sich, einen nach Jahren endlich mal wieder zu sehen – auch wenn es sich um völlig Fremde handelt. rok

„Der Dutt wird euch fehlen.“ Mit Sätzen wie diesem verabschiedet sich am Silvestertag Bärbel Lorenzen aus der Kreuzberger Marheinekehalle von ihren Stammkunden. Fast 41 Jahre hat sie zusammen mit ihrem Mann dort Obst und Gemüse verkauft, stets mit einem flotten Spruch auf den Lippen und die Haare exakt zu einem Dutt gebunden. Auf ein Abschiedsgläschen Sekt oder Glühwein kommen dutzende Kunden, unter anderem Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) und Entertainerin Gayle Tufts. Bärbel Lorenzen, inoffizielles Händlermaskottchen der Marheinekehalle, verkaufte nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch den neuesten Klatsch aus der Halle, und gab zum Herbstkürbis gerne immer ihr handgeschriebenes Rezept für eine Suppe „à la Mama“ mit. „Vergesst uns nicht“, sagt Bärbel Lorenzen am Schluss mit einem bisschen Wehmut. Das haben ihr alle Stammgäste versprochen.oew

Mit so viel Aufregung und öffentlicher Anteilnahme hat Christine Jaradat nicht gerechnet. Aber es musste einfach so kommen, immerhin hat die Stadt fast eine Stunde vergeblich gewartet. Als Sohn Hisham um genau 0.59 Uhr im Weddinger Virchow-Klinikum zur Welt kommt, ist Berlins erstes Neujahrsbaby 2009 geboren. Die 28-jährige Mutter kann die kleine Berühmtheit stolz in den Armen halten. Dass es Mutter und Kind bestens geht, davon kann sich am nächsten Tag die ganze Station 37 überzeugen. Der erste Berliner des Jahres ist Tagesgespräch und macht auch die Klinik stolz. Hisham ist 54 Zentimeter groß, wiegt 4140 Gramm und ist das dritte Kind der Familie. Christine Jaradat hat bereits zwei Kinder zur Welt gebracht, die bei der Geburt jeweils noch ein wenig mehr auf die Waage brachten. cvl

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