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Stadtleben: So weit die Hufe tragen

Rund 12 000 Reiter gibt es in Berlin und 68 Kilometer Reitwege allein im Grunewald. Wie man den richtigen Stall findet

Meistens ist es so: Man fährt mit Transportmittel A quer durch die Stadt, um sich am Zielort mit Transportmittel B eine Stunde im Kreis zu bewegen. Dafür nötig sind eine umfangreiche, nicht unbedingt kleidsame Ausrüstung, Zeit und Geld. Man nennt das dann Reiten – und die meisten, die es ausprobiert haben, können gar nicht mehr davon lassen.

Etwa 12 000 Reiter gibt es laut dem Landesverband Pferdesport (LV) in Berlin, zwischen Lübars und Rudow, Zehlendorf und Mahlsdorf. Berlin und Umgebung sind Pferdeland. Man kann hier fast jedes Sommerwochenende zu Spring- oder Dressurturnieren fahren, mit der Hippologica eine der größten Pferdemessen Europas besuchen, Zirkuslektionen belegen oder Wanderritte buchen (siehe Kasten). Wie viele Reitvereine und -betriebe es in Berlin genau gibt, kann nicht einmal LV-Präsident Jürgen Lange genau sagen. Bei ihm registriert sind allein 70. Und manche liegen überraschend zentral.

Die Anwohner der Auerbacher Straße zum Beispiel hören derzeit an jedem sonnigen Wochenende das Klappern von Pferdehufen auf dem Asphalt. Dann machen sich die Schüler vom Reitstall Wallenhauer auf in den Grunewald, der am Ende der Straße beginnt. 68 Kilometer Reitwege durchziehen den Wald. Bis zur Havel kommt man über sandige Galoppstrecken oder schmale Trabpfade zwischen Kiefern, Eichen und Birken. Richtig einsam wird es zwar nie – man muss den Hüttenweg queren, trifft Radler, Skater, Herrchen, Hunde –, doch kann es passieren, dass man auf dem schaukelnden Pferderücken für ein paar Minuten aus der Zeit fällt. Fast nur das rhythmische Klopfen der Hufe auf dem Waldboden ist dann zu hören, Vögel singen dazu, Blätter rauschen. Und nur ganz selten knallt einem ein Ast an die Kappe.

Seit knapp 40 Jahren ist Manfred Wallenhauer mit seiner Reitschule direkt am S-Bahnhof Grunewald. Die Anlage des Familienbetriebs ist nicht groß und über die Jahre auf liebenswerte Weise etwas windschief geworden. Dafür werden die zwölf Schulpferde gut gepflegt und ausgebildet. Der größte Vorzug des Stalls – die zentrale Lage – ist gleichzeitig ein Problem: Wie in allen städtischen Ställen fehlt es an Weiden. Stattdessen toben sich die Tiere auf einem Sandplatz aus, in dessen Mitte eine riesige Eiche steht.

Im Reitclub Grunewald zehn Minuten weiter nutzen sie den großen Außenreitplatz als Tobefläche für ihre 16 Schulpferde und -ponys. Diese Anlage liegt besonders schön: unmittelbar am Waldrand, gleich nebenan das alte Forsthaus Paulsborn mit dem nostalgischen Biergarten, gegenüber glänzt hinter Schilfwiesen der Grunewaldsee.

Finanziell nimmt es sich nicht viel, ob man sich nun für eine Reitschule wie Wallenhauer entscheidet oder einen Verein wie den Reitclub Grunewald. Einzelstunden kosten in Berlin fast überall um die 30 Euro, Gruppenstunden zwischen 18 und 25 Euro. Trotzdem sollten sich Berliner, die einen Reitstall suchen, verschiedene Ställe anschauen und vor allem: Fragen stellen. Hier eine kleine Checkliste.

Wichtig ist vor allem die Auslastung – für den Schüler, aber auch für die Tiere. Man sollte auf jeden Fall fragen, wie oft die Schulpferde eingesetzt werden. Zwei Mal täglich ist gut, mehr als drei Mal nicht. Reiter, die Einzelunterricht wünschen, müssen wissen, ob Halle und Lehrer dafür oft genug frei sind. Und wer in der Gruppe reiten möchte, sollte klären, dass nicht mehr als zehn Pferde mitlaufen, sonst endet es allzu oft im Chaos, und das verdirbt nicht nur ängstlichen Anfängern den Spaß.

Außerdem ist es gut zu wissen, wie alt die Reiter im Stall sind, damit man nicht als einziger Erwachsener unter lauter Kindern landet oder als Jugendlicher in der Seniorengruppe. Bei Wallenhauer halten sich Kinder- und Erwachsenengruppen die Waage, viele über 30-Jährige entdecken hier ihre Jugendliebe zum Reiten wieder oder lernen jetzt, was die Eltern vor Jahrzehnten vielleicht nicht erlauben wollten. Im Reitclub Grunewald dagegen sind – auch wegen des großen Angebots an Voltigier-Stunden – zwei Drittel der Mitglieder Kinder und Jugendliche.

Den Unterricht geben heute vor allem junge Frauen, die sind nett und machen vor, wie es richtig geht, statt zu brüllen, wie es die strengen Rittmeister früher gern taten. Auch die Schüler sind überwiegend Frauen: 70 Prozent der Berliner Reiter sind weiblich. Männer kommen eher als Väter vor, die gerührt ihre Töchter bewundern.

Reiten ist eben nicht gleich Reiten. Die einen lernen es lieber allein, die anderen in der Gruppe, die einen wollen feine Dressurkunst, die anderen lieber über Hindernisse springen, und wieder andere möchten am liebsten nur unter freiem Himmel sein. Die könnten zum Beispiel nach Mahlsdorf fahren, zum Turnierstall von Gabriele Lyck-Piehl.

Die ist Dressurreiterin, während Ehemann und Sohn im Springsport zu Hause sind, man sieht das gleich, wenn man das große grüne Tor passiert. Zwischen Weiden und Paddocks ist ein bunter Parcour mit vielen Hindernissen aufgebaut. Vor 13 Jahren hat Gabriele Lyck-Piehl ihre Reitschule eröffnet. Sie war arbeitslos geworden und beschloss, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Los ging es mit fünf Pferden, ihren eigenen. Heute stehen auf dem Gelände 48 Tiere. Es ist eine der größten Anlagen in der Stadt: 15 Hektar. Sogar ein Stück Wald gehört dazu, der sich rund um das Gelände zieht. Da dürfen die Schüler zum Aufwärmen jedes Mal einen kleinen Spazierritt machen. Und wer sattelfest ist, darf an Wochenenden mit auf die Trainingsbahn in Hoppegarten – und dort galoppieren wie ein echter Jockey.

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