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Karussell

© Uwe Steinert

Sommer in der Stadt: Gaukler, Genießer, Picknickfreunde

Volle Volksfeste, volle Badestrände: Am Wochenende ist die Stadt in Hochstimmung.

Das ist der Sommer ihres Lebens. Das Pärchen liegt auf dem Rasen am Strausberger Platz, um die Mittelinsel herum braust der Kreisverkehr, doch die beiden kuscheln eng umschlungen in der Sonne und träumen vor sich hin. Doch man braucht nicht in andere Sphären zu entschweben, um den Berliner Sommer zu genießen. Es gibt ihn, überall, gleich um die Ecke.

Petersburger Straße, nahe Frankfurter Tor. Wo man sonst im Berufsverkehr vorbeibraust, bleibt der Blick heute haften: Bunte Riesen-Geckos prangen auf Häuserfassaden, das „Ministry of Tourism of the Sultanate of Oman“ residiert hier und wirbt für Reisen, der Zoohandel verkauft gefiederte „Venezuela Amazonen“ und „Neu Guinea Edelpapageien“.

Vollrauschflanieren als "Bad Boy" in Netzstrümpfen

Mike, 25, ist schon verreist. Der Londoner steht ein paar Meter weiter auf dem Bierfest an der Karl-Marx-Allee. In seiner Hand ein Maßkrug, bekleidet mit einem Lederkäppi mit der Aufschrift „Bad Boy“, Netzstrümpfen und rosa T-Shirt. „Ich heirate bald und feiere hier mit meinen Kumpels Junggesellenabschied“, sagt Mike. Zehn Bierkrüge brauche er, um gut drauf zu sein, 50 schaffe er. Dann ziehen die Jungs weiter, Vollrauschflanieren am Sonnabendmittag, da ist bei einigen Hopfen und Malz verloren, auf der Meile der Kultivierung des Alkoholkonsums. Die Leute tragen T-Shirts mit Aufdrucken wie „Versoffene Skatrunde“, „Akw – kerngesund“ oder „Born to drink“.

Aliya aus Polen steht beim Bierfestival für eine Brauerei aus Czarnkow hinterm Tresen, die erstmals ihr „Proletaryat“ in Berlin präsentiert, mit rotem Stern auf dem Etikett. Es enthält Mineralien, Kalzium, Magnesium, „wirkt therapeutisch, gibt Sicherheit, erleichtert es, Kontakte zu knüpfen, senkt die Nervenspannung und wirkt krebshemmend“ – steht zumindest auf einem Flyer. Und: „Eine Flasche enthält 250 kcal. Ein Arbeitsmann benötigt 3000 kcal pro Tag.“ Bier ist auch Stulle, sagt der Berliner.

Geschichtslektion beim Lindenfest

Beim Lindenfest auf dem Schlossplatz fließen eher Limo und Kaffee. Natascha Kobsa, 16, aus Ulm, bekommt gerade eine Geschichtslektion von ihren Großeltern. „Der hatte sich da einen Palast hingebaut, der Honi“, sagt Opa Hans-Joachim Götz und zeigt auf das noch verbliebene Skelett vom Palast der Republik. „Er wurde auch für Theater und Musik genutzt.“ Aha, sagt die Enkelin, „für fun“. Alle drei schwärmen für Berlin, „nur dass die Sieger nach der Wiedervereinigung die Zeugnisse der Schreckensherrschaft einfach so getilgt haben“, das bedauert Berlinbesucher Götz. Er hätte Natascha lieber in einem Open-Air-Museum ein originales Stück Mauerstreifen samt Hundezwinger und Grenzturm gezeigt als nur die Gedenktafeln nahe dem Reichstag. „Sie kann sich das doch alles gar nicht mehr vorstellen.“ Im Hintergrund dudelt der Wendezeitsong „Wind of Change“ der Scorpions, das passt. Aus dem Berliner Dom eilen Hochzeitsgäste mit Blumen im Haar, es sind Wahlberliner aus Russland.

Ein paar Schritte weiter amüsieren Kreative die Gäste beim Gauklerfest, ebenso gibt’s heute noch Partystimmung fast umsonst und draußen beim Deutsch-Amerikanischen Volksfest in Zehlendorf und beim Müllerstraßenfest in Wedding. Auf der Oberbaumbrücke kann man am Sonntag die „Open Air Gallery“ besuchen. Richtung Friedrichshain ist auch ein Lkw unterwegs mit der Aufschrift „Happy Eis – echt lecker“, aus dem offenen Fenster klingt das Monrose-Lied „Hot Summer“.

Zum Picknick ins Grüne

Heiß her ging es zuletzt am Landwehrkanal. Doch beim Zwist zwischen Baumlobbyisten, Reedereien und Wasserbehörde herrscht Sommerpause, und nun schippern „Prenzlauer Berg“ und „Blue Star“ an grünen Bäumen und hellgrauen Betonklotz-Baumstützen vorbei. Die Baerwaldbrücke sei nach dem ersten Direktor der Gaswerke benannt, schallt es aus Bordlautsprechern. Auch viele Kreuzberger auf ihren Picknickdecken am Ufer hören zu. Blauer Himmel, Wolken, Sonne, Schatten, Regen, Wind – es geht weiter hin und her, sagen die Meteorologen. Das freute zuletzt die Surfer, die zuletzt über die Havel flitzten. Gestern aber breiteten am Strand wieder Familien ihre Decken aus, legten Motorradfahrer Helm und Leder ab und ließen Sand durch die Zehen rieseln. An diesem Wochenende, da ist endlich mal wieder richtig Sommer.

Annette Kögel

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