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Friedrichshain-Idyll. Jeden Abend sitzen hier viele Anwohner, trinken ein Feierabendbier und gucken in die Ferne – ob zum Fernsehturm, auf die alten Eisenbahngleise oder zum Narva-Turm, in dem heute BASF sitzt (links im Bild).

© Paul Zinken

Szene-Treffpunkt: Admiralbrücke? Die kennt doch jeder

Die Kreuzberger Admiralbrücke ist als Feierort bekannt. Viel beeindruckender ist jedoch der Ausblick vom Bauwerk in der Modersohnstraße in Friedrichshain. Da meckert auch keiner, wenn es mal zu laut wird.

Manchmal fängt die Brücke bedrohlich an zu wanken. Das passiert oft, wenn ein schwerer Lastwagen die 70 Meter lange Stahlkonstruktion überquert. Dann bebt und erzittert die Modersohnbrücke in Friedrichshain für einen Moment, und so manchem, der eben noch entspannt mit einem Bier am Geländer lehnte und in die Feierabendsonne blinzelte, wird etwas flau im Magen. Aber das legt sich schnell, und so wird weiter gequatscht, gelacht – gestaunt. Was für eine schöne Kulisse!

Dahinten ragt der Fernsehturm in die Höhe, daneben die Kraftwerksschlote an der Michaelbrücke. Auch die Hochhäuser an der Leipziger Straße und der Berliner Dom sind zu erkennen. Und unten schlängeln sich zig Gleise gen Innenstadt, teils überwuchert von Sträuchern. Rollt ein ICE oder eine S-Bahn heran, kann man dem Lokführer fast in die Augen gucken, so nah wirkt er von hier oben.

Berlin hat einige Brücken, die nicht nur als einfache Verkehrsstraße genutzt werden. Bekanntestes Beispiel ist die Admiralbrücke in Kreuzberg, ein seit langem umkämpfter Szene-Treffpunkt. Doch auf keiner Brücke hat man eine so grandiose Aussicht wie auf der Modersohnbrücke. Denn die Bahnanlagen erlauben eine völlig freie Sicht gen Westen. An jedem dieser heißen Sommerabende kommen die Menschen hierher, um dem Sonnenuntergang über der Stadt zuzusehen. Längst wird die Überquerung in Stadtführern als „Hot Spot“ erwähnt.

Es ist ein ausgesprochen urbanes Ambiente auf der Modersohnbrücke, mit viel Lärm und Stahl und Beton ringsum. Statt grüner Bäume dominiert der Charme alter Eisenbahnindustrie. „Richtig schön ist es hier ja eigentlich nicht“, sagt Johanna Hehl. Die 33-Jährige wohnt nicht weit entfernt am Boxhagener Platz und kommt regelmäßig auf die Brücke zum Ausspannen. „So kommt man mal aus den engen Häuserschluchten heraus.“

Im Sommer sitzen manche Gäste bis weit nach Mitternacht auf der Brücke. Unzählige Kronkorken und Zigarettenstummel zeugen von langen Abenden, Anwohner berichten auch von Scherben zerbrochener Bierflaschen, die morgens zu finden sind. Ab und zu finden sogar Partys statt. Dann werden mobile Boxen mit einem Einkaufswagen auf die Brücke geschoben und Techno-Bässe lassen die Brücke erzittern, deren Namenspatron der Landschaftsmaler Otto Modersohn (1865–1943) ist. Die alte Brücke wurde 1999 abgerissen, 2002 dann wurde die neue eröffnet; Architekt des fünf Millionen Euro teuren Bauwerks ist der Charlottenburger Hans-Günther Rogalla.

Schlichtende Mediatoren braucht es anders als in Kreuzberg nicht. Es gibt nämlich an der Modersohnbrücke keine genervten Nachbarn, beziehungsweise: überhaupt keine Nachbarn, die sich belästigt fühlen. Denn die nächsten Wohnhäuser sind weit weg – und nicht gleich nebenan wie rund um die Admiralbrücke.

„Es gibt eben genug andere schöne Orte in Berlin“, sagt der stellvertretende Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Peter Beckers (SPD). „Und es ist sehr zu empfehlen, da mal hinzugehen“, fügt er hinzu – und spricht damit die hartnäckigen Liebhaber der Admiralbrücke an, die in der Vergangenheit oft von der Polizei verscheucht werden mussten. Das Partyvolk wird dort eh bald vertrieben, schließlich wird das Bauwerk 2013 saniert, geht es nach dem Willen der Linksfraktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, noch früher. Und auf einer Baustelle ist das mit dem Feiern so eine Sache.

SPD-Politiker Beckers hätte kein Problem damit, wenn die Leute künftig ihr Bier auf der Modersohnbrücke trinken würden. Genug Platz wäre noch da. Aber das sei unwahrscheinlich, sagt er – niemand wolle gerne so weite Wege machen. Auf der Admiralbrücke sei nämlich mal durchgezählt worden, dort kämen zwei von drei Anwesenden aus dem dortigen Kiez. „Und es ist zu vermuten, dass auf der Modersohnbrücke die Mehrheit aus dem Boxhagener Kiez kommt“, sagt Beckers. Die Leute wollen am Abend ihr Bier offensichtlich in der Nähe trinken und nicht in einem anderen Teil der Stadt. Oder: Zu Hause ist es am schönsten.

Haiko Prengel

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