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Espiner

© Thilo Rückeis

Tägliche Serie, Folge 12: Kulturcheck - ein Londoner testet Berlin, heute: In der Zeitmaschine

Das Berlin-Experiment: Der Londoner Journalist Mark Espiner ist zwei Wochen beim Tagesspiegel zu Gast und bespricht online jeden Tag Berliner Kulturereignisse. Diesmal tritt er eine Reise in die Vergangenheit an.

Mir ist aufgefallen, dass Sie es in Deutschland mit dem Brot haben. Sie lieben es, darüber zu reden, zu diskutieren, wo man es kaufen kann und natürlich es zu essen. Deshalb wird sich die vorletzte Folge meines Kulturmarathons mit der Berliner Kruste befassen.

Ludwig hat mir glaubhaft versichert, dass Schrippen nur eine schwacher Abklatsch von Brötchen seien. Sie seien mit Wasser gemacht statt mit Milch, und in Heidelberg, wo Ludwig herkommt, äße man Schrippen nur samstags. Als er nach Berlin gezogen sei, schreibt er mir in seiner Email, habe er festgestellt, dass Schrippen hier die ganze Zeit gegessen würden. Vielleicht zeigt dies, wie arm das alte Berlin war, weil seine Bürger mit Brötchen zweiter Klasse auskommen mussten - und sie dann so zu lieben gelernt haben.

Aber da hört es längst nicht auf. West-Berliner Schrippen sind anders als Ost-Berliner Schrippen - und die aus dem Osten sind immer schwieriger zu finden. Wie anderes aus Ost-Berlin, waren auch die Schrippen von dort kleiner und weniger süß.

Doch in Prenzlauer Berg, an der Ecke Kuglerstraße/Varnhagenstraße, gibt es eine kleine Bäckerei, die ein bisschen wie eine Zeitmaschine zurück in die DDR funktioniert. Sie verkauft kleinere, weniger süße Schrippen und ist ein dezenter Ort mit einer leicht exzentrischen Preisstruktur. Waren haben ungewöhnliche Preisschildchen wie 0,66 Euro und das Schild der Bäckerei mit der alten Schrift aus roten Buchstaben hängt wie aus der Zeit gefallen im Fenster. Hier bekommt man sein Brot und seine Brötchen in einem kleinen roten Plastikbrotkörbchen aus DDR-Zeiten, erzählte mir Ludwig. Ich aß hier Schrippen und mochte sie sehr. Aber sie waren nicht so gut wie die Pfannkuchen. Warum die Berliner stur einen Doughnut einen Pfannkuchen nennen, bleibt mir allerdings unerklärlich.

Im Pub mit John, Paul, George und Ringo

Die Musiker-Klause in der Torstraße hat sich auch nicht verändert. Das erzählt mir der Barmann mit der Vokuhila-Frisur, der seit 25 Jahren dort arbeitet. Die Kneipe ist vollgestopft mit Beatles-Souvenirs und hinter der Bar legt er Schallplatten, ja Schallplatten, von John, Paul, George und Ringo auf. Es war ein bisschen wie Back in the USSR, boys.

Wer die Bierstube Alt-Berlin in der Münzstraße betritt, fühlt sich wie in einem Londoner Pub vor 20 Jahren: Das Dekor, die gesprächige Barfrau, die dicken Rauchschwaden, die in der Luft hängen. Auf eine Art liebe ich die Raucherei in Kneipen. Da gibt es nicht die grausame Trennung von Freunden, wenn die eine Hälfte draußen ihre Zigaretten pafft, während die andere drinnen trinkt. Andererseits hasse ich die Raucherei. Aus den offensichtlichen Gründen, weil sie der Gesundheit schadet und meine Kleidung immer noch nach Zigaretten riecht. Es fällt mir wirklich schwer, das Berliner Rauch-"Verbot" zu verstehen. Es scheint mir eher so, dass es den Leuten absolut Wurst ist. Dahin ist das Klischee der rigoros gesetzestreuen Deutschen.

Bratwurst essen statt Schlange stehen

Nach dem Kneipenbesuchen wollte ich eigentlich Clubben gehen. Im Berghain, Maria oder Tape, alles gute Tipps von Ihnen. Doch nach zwei Wochen Kultur und einem Tag DDR-Zeitreise konnte ich kaum noch laufen und schon gar nicht Schlange stehen. Deshalb hoffe ich, dass Sie mir vergeben werden, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich nach Hause ging, eine grobe Bratwurst aß und diesen Text für Sie schrieb.

Es wird keine Zeitmaschine sein, die mich am Sonntagmorgen zurück nach Heathrow fliegt. Montagmorgen schicke ich dann aus London meine letzten Gedanken über Berlin. Bis später.

Aus dem Englischen übersetzt von Markus Hesselmann.

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