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© Thilo Rückeis

Tägliche Serie, Folge 7: Kulturcheck - ein Londoner testet Berlin, heute: Flohmarkt und Fernsehen

Das Berlin-Experiment: Der Londoner Journalist Mark Espiner ist zwei Wochen beim Tagesspiegel zu Gast und bespricht online jeden Tag Berliner Kulturereignisse. Diesmal begleitet ihn das ZDF.

Erinnern Sie sich noch, dass ich Ihre Stadt für ihre wenigen Überwachungskameras gelobt habe? Tja, letztens habe ich sie dann ständig im Nacken gehabt. Wobei, ich habe mir das selber ausgesucht und ich kann mich nicht beklagen. Das ZDF liest ebenfalls den Tagesspiegel und hat sich erkundigt, ob es auf meine Ausflüge mitkommen könnte, weshalb ich dann ein Kamerateam an meiner Seite hatte. Eigentlich war das sehr nett, so eine Begleitung.

Ich habe auch etwas über Ihre schwierige Vergangenheit gelernt. Einer aus dem Filmteam kam aus der früheren DDR und hatte noch 1988 versucht, zu fliehen. Er wurde geschnappt und kam für ein Jahr ins Gefängnis. Die Mauer fiel nur wenige Monate nach seiner Freilassung.

Während ich über den Flohmarkt im Mauerpark in Prenzlauer Berg ging, zeigte er mir den Ort, an dem er versucht hatte, mit einer Leiter über die Mauer zu klettern (wie tapfer ist das, bitteschön?), und erzählte, dass auf dem Grasstreifen, der jetzt wie ein Park aussieht, damals Wachhunde patrouillierten. Ich kann mir nichts in London vorstellen, was dem irgendwie gleichkäme. Das ist einzigartige Berliner Geschichte – sie lebt noch immer.

Ich liebe Flohmärkte. Sie erzählen so viel über eine Stadt. Man sieht, was die Leute loswerden, und in dem Ramsch entdeckt man ein Stück soziale Geschichte. Alte ostdeutsche Staubsaugerbeutel waren in eine Kiste gestopft, ich habe alte Plattenspieler gesehen und, glaube ich, russische Kameras. Außerdem einen Stapel Dokumente aus dem Jahr 1942 mit Hakenkreuzen vorne drauf. Das würden Sie in Portobello Market nicht finden.

In London wird diese ganze Idee von den tapferen Briten während des Blitz (die deutschen Bombenangriffe auf Großbritannien, die Red.) in einem Museum an der London Bridge gefeiert. Und dann gibt es selbstverständlich noch Churchills Regierungsbunker. Die Briten definieren ihre Identität bis zu einem gewissen Grad, indem sie auf den Krieg zurückblicken. Das ist nicht notwendigerweise eine gute Idee. In Berlin kann man die Nazi-Vergangenheit nicht ignorieren, es gibt die Schusslöcher in den Hauswänden. Aber ich habe darüber nachgedacht, wie anders hier an den Krieg erinnert wird, und was das für die deutsche Identität bedeutet.

Im Moment haben wir in Großbritannien eine Identitätskrise. Eine der häufigsten Fragen dieser Tage dreht sich darum, was „Britishness“ ist, und was das bedeutet. Besonders, wenn wir anscheinend einige Terroristen produzieren. Leute verweisen dann auf den „Blitz spirit“, um zu beschreiben, wer wir sind (lustig, dass sie dagegen nicht den Sklavenhandel nennen), aber das ist heutzutage so weit weg und man kann kaum sagen, dass es relevant wäre.

Ich besuchte ein Kriegsrelikt, das einige Schönheit angenommen hat. Sie bezeichnen es als Bunker, allerdings ist es ein mehrstöckiges Gebäude – für uns dagegen liegt ein Bunker immer unter der Erde. Aber egal, der Bunker diente während des Kriegs als Schutz vor den Bombenangriffen, wurde dann zu einem Gefängnis der Roten Armee, dann zu einem Lager für tropische Früchte – der Bananenbunker -, und dann zu einem Sex- und Technoclub. Heute ist der Bunker eine private Galerie, die 20 Prozent der Boros-Sammlung beherbergt. Der Sammler hat in der Werbebranche angefangen, es gibt also einige Parallelen zur Londoner Saatchi-Galerie, denke ich. Um hineinzukommen und die modernen Kunstwerke zu sehen, die auf fünf Stockwerken in dem fensterlosen Betonbau ausgestellt sind, muss man sich vorher anmelden. Wenn Sie noch nicht dort gewesen sind, reservieren Sie sich eine Tour.

Es war spannend, diese inspirierende Kunst zu betrachten, aber mein Kopf fühlt sich inzwischen ein bisschen voll gestopft an mit Kultur. Und mein Magen fühlt sich ein bisschen voll gestopft an mit Wurst. Gestern habe ich mir an einer Imbissstube eine Rostbratwurst im Brötchen gekauft – ich habe mir daran furchtbar den Mund verbrannt. Ein schlechter Wurst-Tag.

Wenn Sie mich in Ihrer Stadt sehen wollen, dann schauen Sie sich an diesem Dienstagabend das "Heute Journal" im ZDF an. Außerdem haben einige von Ihnen um die englische Version der Kolumne gebeten, sie steht ab sofort online. Bitte klicken Sie hier.

Und vielen Dank wieder für alle Ihre freundlichen Emails und Kommentare. Bis morgen!

Aus dem Englischen übersetzt von Ruth Ciesinger.

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