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Stadtleben: Tod in der Kölschkneipe

Die „Ständige Vertretung“ ist Kneipe – und Tatort Hier spielt Jan Bergraths Thriller „Tödliche Energie“

Sie ist bekannt als touristenfreundlicher Treffpunkt der Bonner in der Berliner Diaspora – die „Ständige Vertretung“ am Schiffbauerdamm in Mitte. Jetzt wird sie auch noch Schauplatz eines Verbrechens: Mit einem Mord lässt Jan Bergrath hier seinen neuen Thriller „Tödliche Energie“ beginnen, der in kriminelle Niederungen des Wirtschaftslobbyismus in der Brüsseler EU-Verwaltung führt. Mit freundlicher Genehmigung des Kontrast-Verlages drucken wir eine gekürzte Textprobe ab, vorbereitend auf die Vorstellung des Buches durch den Autor – natürlich am Tatort.

I

n den letzten Minuten vor der Halbzeit kam noch einmal Spannung auf. Teuscher, sein ehemaliger Redaktionskollege aus Köln, fieberte weiter mit. Eine ältere Frau kam plötzlich ganz aufgeregt aus der Toilette und ging händefuchtelnd an die Theke. (...)

„Jetzt ist sie weg“, riss ihn Teuscher aus seinen Gedanken.

„Wer ist weg?“, fragte er.

„Na diese Rothaarige, die du die ganze Zeit angestarrt hast. Ist gerade zur Tür raus. War aber auch ein Schuss, was?“

„Ganz okay“, wiegelte Brandt ab. Er fühlte sich ertappt. (...)

„Hast du auch so einen Druck?“, fragte Teuscher, wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort, sondern startete gleich los. Mit ihm drängte ein Schwung Gäste auf einmal zur Toilette. Urplötzlich tauchte der Toilettenmann wieder auf und versperrte mit seinem Körper die Tür, auch der Kellner kam hinter die Theke zurück und griff zum Telefon.

„Was ist denn da los?“, fragte Brandt einen Gast, der gerade unverrichteter Dinge zurück zu seinem Tisch wollte. Der Mann war genervt.

„Mit Schiffen wird’s vorerst nichts", schimpfte er. „Da liegt eine Drogentote auf dem Damenklo.“

Notarzt und Polizei waren nahezu zeitgleich in die Ständige Vertretung gekommen. Es schien, als hätten nur die Gäste im unmittelbaren Thekenbereich davon Kenntnis genommen. Der Toilettenmann hatte inzwischen die Tür zum Toilettenbereich geschlossen. Das Notdurftmanagement funktionierte. Ein Kellner schickte konsequent alle Leute, die zum Klo wollten, in die Berliner Republik.

Brandt war gar nicht aufgefallen, dass die junge Frau nicht wieder von der Toilette zurückgekommen war. Der Klomann hatte ihm konsequent den Einlass verweigert. Doch Brandts sehr exakte Beschreibung, die er ihm geben konnte, schien, wie er sofort befürchtet hatte, genau auf die Tote zuzutreffen. Sie lag, so viel hatte er dem leichenblassen Mann entlockt, leblos neben der Toilettenschüssel. Und sie hatte nichts dabei, wodurch man sie identifizieren konnte. Dafür hatte man neben der Toten eine Spritze gefunden. (...)

Brandt war zutiefst geschockt. Vor allem über die spürbare Gleichgültigkeit der Gäste. Auch Teuscher nahm das durch nichts bewiesene Gerücht, die junge Frau sei eine Drogentote, als Tatsache einfach so hin. Das enttäuschte ihn am meisten, wie er sich eingestehen musste. Er kannte die junge Frau überhaupt nicht, für die er einige Augenblicke zuvor noch Interesse, ja sogar etwas wie Sympathie empfunden hatte. Er hatte in seiner berufsbedingten Neugier und Fantasie sicher am Ende recht fragwürdige Schlüsse über das Geschehen am Nachbartisch gezogen. Spekuliert. Im Grunde ging es ihn gar nichts an. Doch eins stand für ihn fest: Die Ständige Vertretung war keine Kneipe für einen goldenen Schuss. Und mit Drogen hatte diese junge Frau nichts zu tun. (...)

Teuscher orderte völlig unberührt noch zwei Kölsch. „Prost“, sagte er lächelnd. „Auf den Schreck.“

Brandt bemühte sich, ihn auszublenden und die Bilder in seinem Kopf zu ordnen. Sie machten keinen Sinn. Eine junge und für seine Einschätzung etwas schüchterne Frau traf sich mit einem Mann, den Brandt vom gesamten Habitus spontan, wenn nicht in eine Bank, so doch in die Abteilung Regierungsbeamte, mittlerer Dienst, stecken würde. Die Chance, dass er damit sogar recht haben könnte, stand gar nicht so schlecht. Im Zuge der Vorbereitung für die Feiern zum fünfzigjährigen Jubiläum der Europäischen Union waren genug offizielle Vertreter in der Hauptstadt. (...)

Die beiden waren freundschaftlich, wenn auch distanziert miteinander umgegangen. Sie hatte ihm irgendwelche Papiere gezeigt, die er lächelnd zur Kenntnis genommen und an sie zurückgegeben hatte. Das konnte alles Mögliche gewesen sein. Eine vorbereitete Rede für irgendeinen Festakt. Streng vertrauliche Dokumente für bilaterale Verhandlungen. Ein Vier-Augen-Hintergrundgespräch mit einer jungen Journalistin, wie sie tagtäglich in den Berliner Restaurants und Kneipen stattfanden. Es machte erst gar keinen Sinn zu spekulieren. Nur eines stand fest: Kurz nachdem der Mann sehr überraschend, wie Brandt empfand, seine Gesprächspartnerin zurückgelassen hatte, ging diese zur Toilette und wurde dort wenig später tot aufgefunden.

Ohne ihre Hängetasche.

Bitte, achten Sie auf Ihre Handtasche! Diese Warnung kam definitiv zu spät.

„Das Spiel geht gleich weiter“, stieß ihn Teuscher an (...). „Ich wette mit dir, die Jungs drehen jetzt noch mal so richtig auf.“ „Da stimmt was nicht“, sagte Brandt reflexartig. Das Spiel war ihm mittlerweile völlig egal.

„Was stimmt nicht?“

„Das ist keine Drogentote.“

„Na und? Was kümmert es dich? Auch noch ein Kölsch?“

Jan Bergrath stellt sein Buch am 9. Oktober, 19 Uhr, in der „Ständigen Vertretung“, Schiffbauerdamm 8, vor. Dazu verlost der Tagesspiegel fünf Exemplare mit Widmung. Wer eines gewinnen möchte, sende eine Mail samt Adresse bis heute, 16 Uhr, an: verlosung@tagesspiegel.de.











— Jan Bergrath:
Tödliche Energie. Ein Europa-Thiller. KontrastVerlag, Pfalzfeld. 286 Seiten, 9,90 Euro

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