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Vorerst soll die Halle nur auf drei Ebenen bespielt werden.

© Thilo Rückeis

Umbau: Der neue Tresor: Das nächste große Ding

Mit seinem Club Tresor hat Dimitri Hegemann 20 Jahre lang die Partyszene Berlins geprägt. Jetzt baut er das stillgelegte Heizkraftwerk in der Köpenicker Straße um – zu einem Zentrum für zeitgenössische Kunst und Musik. In sechs Wochen wird eröffnet. Wenn alles gut geht. Ein Baustellenbesuch.

Es ist atemberaubend. Erstens der Anblick, zweitens der Geruch. Staub und Bauschutt-Partikel liegen in der Luft, verbrannt riecht es auch, oben auf Ebene drei rammt ein Arbeiter gerade seinen Presslufthammer in den Boden, das schlägt Funken. Dimitri Hegemann mag gar nicht zugucken, aber nicht wegen der Funken, sondern weil der Bauarbeiter so nah am Abgrund steht. Hegemann hat Höhenangst.

22 000 Quadratmeter, 30 Meter hoch, eine Kathedrale aus Beton und Stahl, mit Mittel- und zwei Seitenschiffen und zig Ebenen. Seit drei Jahren nutzt Dimitri Hegemann bereits das stillgelegte Heizkraftwerk in der Köpenicker Straße, aber bisher nur den Keller, für seinen Techno- Club Tresor, der sein altes Domizil in der Leipziger Straße räumen musste. Nun richtet Hegemann auch den Rest des Gebäudes her, als Forum für zeitgenössische Kunst und Musik. Zwei bis drei große Ausstellungen soll es pro Jahr geben, die erste beginnt Anfang Oktober. Dies ist der Raum, auf den in Berlin alle warten, sagt Hegemann. Man kann diese Behauptung tollkühn finden. Aber nur, bis man die Halle zum ersten Mal mit eigenen Augen sieht.

2,5 Millionen Euro hat der Umbau bis jetzt gekostet, für 20 Jahre hat Hegemann das Gebäude von Vattenfall gemietet, mit Option auf fünf weitere. In den letzten Monaten führte er viele Neugierige durch die Halle. Bekannte und Freunde, die wissen wollten, was hier entsteht. Was alles möglich sein wird. Die Graft-Architekten waren da, DJ Richie Hawtin, Olafur Eliasson und Peter Lindbergh, der Fotograf. Da war keiner, der nicht euphorisch wurde.

Hegemann will bloß temporäre Schauen zulassen. Denn genau das sei das Problem der meisten großen Häuser, sagt er. „Die stellen sich alles zu, und dann haben sie keinen Platz mehr für Neues.“ Auch Konzerte sind möglich, aber nur von ausgesuchten Künstlern. Die Einstürzenden Neubauten wären willkommen. Oder Kraftwerk. Oben auf der dritten Ebene, in acht Metern Höhe, ist Platz für einen hundert Meter langen Catwalk. Vielleicht für eine Modenschau während der Fashion Week. Und ganz unten im Keller geht der Partybetrieb weiter, mit separaten Eingängen. Wenn frühmorgens der Club schließt, öffnet eine Etage drüber das Kunstforum. Es ist ein Riesenprojekt. Aber wenn man den 55-Jährigen so schwärmen hört von seinen Plänen und Ideen, zweifelt man nicht, dass er das schaffen wird.

Die Halle hat den Charme einer alten Industrieruine. Und das soll unbedingt so bleiben. Hegemann will das Unfertige erhalten. Er will einen Ort, an dem man auch mal einen Nagel in die Wand schlagen kann, wenn es der Künstler so will. Die Verfärbungen an den Säulen? Bleiben! Die halb abgeblätterten Schriftzeichen an den Wänden? Bleiben! „Reduzierstation“ steht in schwarzen Buchstaben an einer Säule. Das wäre ein toller Name für diesen Ort, dachte sich Hegemann. Aber wie würden die Engländer damit klarkommen? Reduce station? Nein, danke. Jetzt wird die Halle „tresor.m“ heißen, das „m“ steht für Mut. Oder Mädchen. Oder mehr. Vorläufig werden nur das Erdgeschoss und die ersten zwei Stockwerke bespielt, aber was heißt schon „nur“ in diesem Gebäude.

Dimitri Hegemann.
Dimitri Hegemann.

© Thilo Rückeis

Dimitri Hegemann hätte es bereits früher entdecken können. Er wohnt gleich in der Nähe, mit dem Fahrrad sind es vier Minuten, und seit 1997 wird hier kein Strom mehr produziert. Doch erst, als Hegemanns Club 2005 dringend neue Räume brauchte, weil der alte Standort mitsamt des Wertheim-Gebäudes einem Bürokomplex weichen sollte, fiel ihm die gewaltige Halle auf. Dann legte er los. „Erstmal gegen die Pharisäer absichern, damit hier kein Möbelhaus entsteht oder so.“ Die Arbeiten verzögerten sich mehrfach, das Genehmigungsverfahren verlief zäh, es gab so vieles zu berücksichtigen, die Fluchtwege, die Parkplätze, die Nerven der Anwohner. Manchmal war es ein Schritt vor, zwei zurück, sagt Hegemann.

Und es bleibt noch viel zu tun in den nächsten sechs Wochen. Gerade werden dutzende Metallgeländer an den Rändern der oberen Stockwerke fixiert, dann kommt die Beleuchtung, aber bloß ganz dezent. Künstler lieben dunkle Räume, weil sie dann auch tagsüber mit Licht inszenieren können. Anschließend müssen noch die letzten Tauben vertrieben werden. „Weggelockt werden“, sagt Hegemann, und dann, endlich, muss der ganze Staub hier raus. Anfang September wollen die Arbeiter mit dem Aufbau der ersten Ausstellung beginnen. „Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit“ heißt sie, organisiert vom Bundesministerium für Stadtentwicklung, mit hunderten Architektur- und Planungsmodellen aus ganz Deutschland.

Der neue Tresor wird der Stadt gut tun. Wird Touristen anlocken, womöglich eine Strahlkraft entwickeln wie das Berghain im Clubbereich. Wann die oberen Stockwerke erschlossen werden, ist unklar. Oder wann das Dach. Beim Gang über die Baustelle mag Hegemann es erst gar nicht zeigen, er musste die vielen Treppenstufen so oft hochsteigen in den vergangenen Wochen. Dann macht er es doch. „Von hier sieht Berlin aus wie Bulgarien“, sagt Hegemann. Bisschen plattenbautenlastig, bisschen kaputt. Vielleicht wird er einen Dachgarten anlegen. Ganz sicher eine Photovoltaik-Anlage, und das Regenwasser soll aufgesammelt und für die Toilettenspülung genutzt werden. „Dimitri, you have to ask yourself: What’s doable?“, hat der kalifornische Lichtkünstler James Turrell zu ihm neulich bei einem Besuch gesagt. Genau so will es Hegemann halten: Immer einen Schritt nach dem anderen, und am besten mit Gleichgesinnten. Turrell ist auch dabei.

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