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© Foto. Thilo Rückeis

Varieté-Schließung: Lauter Abschied vom Wintergarten

"Hupen für den Wintergarten": Ende Januar sollen im insolventen Berliner Varieté die Lichter ausgehen. Die Mitarbeiter demonstrieren lautstark gegen die Schließung und hoffen auf einen neuen Investor.

Walter Weber rudert heftig mit dem Arm. Auf dem Schild in seiner Hand steht: „Hupen für den Wintergarten“. Die meisten Fahrer machen mit. Ein Hupkonzert flutet die Potsdamer Straße, besonders die Taxi- und Lkw-Fahrer sind engagiert dabei. Die Schallwellen werden von den hohen umliegenden Wänden zurückgeworfen und noch verstärkt.

Aber ob es tatsächlich hilft? Der Wintergarten ist insolvent, am 31. Januar gehen hier die Lichter aus. Jetzt versuchen die Mitarbeiter, mit einer Demonstration vor dem Haus das Rad noch einmal herumzureißen. Walter Weber ist eigentlich Fotograf, aber heute hat er die knallrote Uniform eines Wagenmeisters angezogen, der die Gäste empfängt und ihr Auto parkt. Er arbeitet seit der Eröffnung 1992 im Wintergarten, und er ist nicht der Einzige: Unter den rund 30 Demonstranten sind viele Mitarbeiter der ersten Stunde. Sie alle haben kreative Schilder hergestellt, die sie dem rollenden Verkehr entgegenhalten. „Insolvent, aber sexy“ steht drauf, oder „Alle müssen raus“, „Ich bin ein Schnäppchen“ und „Fortuna Wintergarten – Trainerwechsel = Abstieg“. Das letzte Schild bringt zum Ausdruck, was so mancher Mitarbeiter zu denken scheint: dass das Management unter Geschäftsführer Frank Reinhardt nicht unschuldig ist an der Situation. „Die Umstrukturierung ist schiefgelaufen, es wurde am falschen Ende gespart. Varieté funktioniert doch woanders auch, zum Beispiel im Chamäleon, warum nicht hier?“, sagt Ewald Rollnik. Der 28-Jährige hat früher im Wintergarten gearbeitet, inzwischen hat er einen anderen Job, ist dem Haus aber immer noch sehr verbunden.

Brigitte Pongratz ist Kellnerin und Mitglied des Betriebsrates. „Wir stehen heute hier. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.“ Die 57-Jährige hat eine rote Federboa umgebunden und trägt eine Tafel mit der Aufschrift „Schaut auf dieses Theater!“ Ihr Blick ist tieftraurig. „Für mich ist das eine Katastrophe. In meinem Alter noch eine Arbeit zu finden ist fast unmöglich.“

Einen festen und zuversichtlichen Blick hat dagegen Oliver Heucke. Er ist Betriebsratsvorsitzender und hofft, mit dieser Demonstration noch etwas ändern zu können. „Wir wollen die Berliner wachrütteln und einen möglichen Investor von außen, dem die Kleinkunst am Herzen liegt, auf uns aufmerksam machen. Außerdem versuchen wir, das Mieterherz bewegen.“ Denn nicht zuletzt die hohe Miete habe laut Frank Reinhardt zu der Insolvenz geführt.

Auch einer der Künstler ist da. „Ich habe schon viele Orte in Berlin gesehen“, sagt Fabien Kachev aus Frankreich, der in der aktuellen Show „Orientalis“ als Pantomime auftritt. „Aber dieses Haus ist ein Schatz. Der Holzfußboden ist wunderschön, es riecht alt und authentisch. In Paris würde man so ein Theater unbedingt verteidigen und seine Rettung als nationale Angelegenheit begreifen.“

Sein Nachbar hält noch ein Schild in die Höhe: „Ich bin doch erst 16“ steht drauf. Die Guten sterben jung, heißt es. Für die Mitarbeiter ist das kein Trost. In den nächsten Tagen planen sie weitere Demonstrationen. Udo Badelt

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