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© Uwe Steinert

Veranstaltungen: Kopfüber ins Vergnügen

In der Stadt ist was los: atemberaubende Kletterei am Alex, schrille Kostüme beim schwul-lesbischen Straßenfest, konzentriertes Kugelschieben in Kreuzberg.

„Houserunning“ ist, wenn jemand die Fassade eines Hochhauses entlanggeht. Von oben nach unten. Eigentlich müsste es Housewalking heißen, weil nicht gerannt wird, aber geschenkt. Das Heruntergehen einer Fassade war gestern am „Park Inn“-Hotel am Alexanderplatz mit seinen 37 Stockwerken möglich. Wer keine größeren Herzbeschwerden hat, nicht schwanger ist und sich auch sonst wohl fühlt, konnte mitmachen und sich für 59 Euro auf den ungewöhnlichen Weg nach unten machen. Noch mehrmals in diesem Sommer soll es dieses ungewöhnliche Vergnügen geben.

Das Fassadengehen ist eine der sportlicheren Veranstaltungen, die an diesem Wochenende im Angebot sind. Die Stadt gibt sich alle Mühe, ihre Straßen und Plätze der Volksbelustigung zu widmen. In der Spandauer Altstadt wird seit gestern schon gefeiert. Auf dem Bebelplatz gibt es ein „Bücherfest“, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt eine Fete der Europäischen Union, in Köpenick wird der „Sommer“ eingeläutet, in Tegel lief das deutsch-französische Volksfest an.

Das Ereignis mit dem höchsten Erlebnisfaktor ist das schwul-lesbische Straßenfest im Kiez um die Schöneberger Motzstraße. Kostüme mit grafischem Verweis auf sexuelle Vorlieben oder mit Leerstellen an sensiblen Körperzonen sind auch heute nur hier zu sehen. Visagist Beni Durrer hat sich eine Bühne mit goldenen Tempelfiguren bauen lassen. Dort formen und färben seine Mitarbeiter zeitgenössische Damen zu Komtessen im venezianischen Stil um.

Friseur Mario ließ vor seinem Salon Bauchtänzerin Jasmin auftreten. Die Getränkefirma Spreequell füllte eine Badewanne mit Original-Mineralwasser aus der eigenen Produktion. Kundige Festbesucher waren sich sicher, dass Freiwillige zum Nacktbaden gesucht wurden. Aber ein Mitarbeiter winkte ab: „Nur die Füße müssen ins Wasser“. Sven Eckert aus dem tiefen Schwarzwald war überrascht, mit sowenig Körpereinsatz ein Ticket für die „Gay Night at the Zoo“ am 20. Juni zu gewinnen. „War’s des schoo?“

Einer der Höhepunkte kontemplativer Zerstreuung für geplagte Berliner ist das Boule-Turnier in Kreuzberg, eine echte „Deutsche Meisterschaft“ mit 128 Teams aus der gesamten Republik. Die Forster Straße war zum gestrigen Turnierauftakt gesperrt und mit gelben Wäscheleinen in viele kleine Spielplätze unterteilt. Ein merkwürdiges Donnergrollen, wie aus Werkhallen des frühindustriellen Zeitalters, empfing den Besucher, vermischt mit Kies-Geknirsche und hellem Klacken, wenn Kugeln aneinander stoßen. Boule boomt angeblich in der Stadt. Es solle mehrere tausend Freizeitspieler geben. Das Berliner Boule-Zentrum ist Kreuzberg.

Inmitten der Spielfelder sitzt Lutz-Rüdiger Busse aus Regensburg, ein Herr von kugeliger Gestalt, in einem imbissartigen Verschlag an seinem Laptop. Busse ist Vizepräsident des Deutschen Boule-Verbandes. Er erklärt, dass zu einem Team ein „Schießer“, ein „Leger“ und ein „Milieu“ gehört. Der Leger wirft seine Metallkugel möglichst nah ans „Schweinchen“, die kleine Kugel. Der Schießer soll mit seinem Wurf feindliche Kugeln vom Schweinchen wegstoßen, und der Milieu ist mal als Schießer tätig, mal als Leger. Die meisten Spieler tragen kein Sportdress, sondern Jeans. Mehr muss man als Boule-Beobachter nicht wissen. Das Finale wird heute gegen 16 Uhr ausgeworfen. Der Gewinner bekommt einen Pokal. Von Preisgeld ist nicht die Rede.

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