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Von Hamburg nach Berlin: Die Künstlerwanderung

Aderlass in Hamburg: Prominente Musiker und Maler zieht es nach Berlin. Nun will sogar Udo Lindenberg kommen.

Offiziell ist es erst mal auf Probe. Höchstens für ein paar Monate. Doch allein die Ankündigung, dass Udo Lindenberg ab sofort viel Zeit in Berlin verbringen wird, hat in seiner Heimatstadt Panik ausgelöst. Weil Udo doch nach Hamburg gehöre! Weil er seit 15 Jahren im noblen Atlantic-Hotel an der Alster wohnt! Weil er Wahrzeichen und Ikone ist, manche sagen: Standortfaktor! Wie kann so einer einfach nach Berlin abhauen?

Er wäre nicht der Einzige. Seit Jahren leidet Hamburg unter einem Exodus von Kreativen, die ihren Lebensmittelpunkt an die Spree verlagern. Das ist besonders schlimm, weil sich die Hansestadt als Kulturmetropole versteht und eigentlich über eine sehr lebendige Szene verfügt. Doch inzwischen gebe es eine lange „Liste der Gefrusteten“, wie das „Hamburger Abendblatt“ schreibt, und zahllose Künstler seien dem „Berlin-Fieber“ verfallen.

Bereits im Sommer haben mehrere Prominente ihren Absprung verkündet, zuletzt Marius Müller-Westernhagen. Nach 40 Jahren Elbe zog er nach Berlin-Mitte. Er sagt, er suche „neue Einflüsse“ und sei hier von der „Dynamik begeistert“. Sein Verschwinden wurde in Hamburg nicht direkt betrauert, eher zur Kenntnis genommen, weit schlimmer war da der verbitterte Abgang des Malers Daniel Richter, nach Jonathan Meese und Christian Jankowski der dritte Hochkaräter unter den bildenden Künstlern. Kurz vor seinem Umzug warf er Hamburgs Kunstszene vor, sie sei übersättigt und überaltert, besonders die Kulturpolitik der Stadt gleiche einem Desaster. „Alle, die künstlerische Ambitionen haben, sind in Berlin“, gab er zu Protokoll. „Nach Hamburg kommt einfach niemand mehr. Die großen Häuser hier liegen am Boden.“

Auch Udo Lindenberg regt sich über den Hamburger Senat auf, der Hunderte Millionen in das Prestigeprojekt Elbphilharmonie stecke, aber kein Geld für Nachwuchsbands und Probenräume übrig habe: „Hamburg ist keine Rockcity mehr.“ Das klingt selbstlos, doch gleichzeitig beklagt der 64-Jährige auch, dass sich die „lahmarschige“ Stadt nicht genug um sein eigenes Vorhaben kümmere: Lindenberg plant ein Lindenberg-Museum, die „Panikzentrale“, bislang erfolglos. Wenn Hamburg nicht wolle, könne er das Haus auch in Berlin eröffnen, droht er.

Ein erster Schritt dahin ist für Dienstag nächster Woche geplant: Dann wird der Sänger im Theater am Potsdamer Platz eine Ausstellung eröffnen – mit 40 eigenen Gemälden auf Alkoholbasis, „Likörelle“ genannt, Lindenbergs Erfindung und Passion. Außerdem sollen erste Szenen aus dem Musical „Hinterm Horizont“ zu sehen sein, das im Januar am Potsdamer Platz Premiere feiert. Es handelt von dem jungen Udo, der sich bei einem Berlin-Konzert in ein FDJ-Mädchen aus Pankow verknallt. Die Stasi will diese Liebe verhindern, kein Ossi-Wessi-Klischee wird ausgelassen, und natürlich werden die großen Hits gesungen. Lindenberg kündigte an, die Darsteller würden speziell in „Nuscheltechnik und Paniktanz“ ausgebildet. Dauergurgeln mit Eierlikör garantiere zudem die richtige „Anmutung der Stimme“. Geht es nach Lindenberg, läuft das Musical hier fünf Jahre lang. Und er wird es im Auge behalten.

Natürlich verlieren auch andere Städte Kulturschaffende an Berlin. Nur ist es für die meisten leichter, das zu verkraften, weil sie sich im Standortwettbewerb sowieso nicht auf Augenhöhe sehen. Für Hamburg, das vor Jahren bereits den Musikpreis „Echo“ und den Plattenkonzern Universal an Berlin verlor, bedeutet jeder Wegzug eine weitere Demütigung.

Manche Musikerabgänge gehen leise vonstatten, so wie die des Tocotronic-Sängers Dirk von Lowtzow oder des Liedermachers Gisbert zu Knyphausen. Aber manchmal droht Herzschmerz, der dann auch künstlerisch verarbeitet wird: Als Thees Uhlmann, Kopf der Hamburger Band Tomte, nach Berlin aufbrach, komponierte der Sänger der eng befreundeten Band Kettcar ein Liebeslied, von dem Fans zuerst dachten, es sei an eine Frau gerichtet: „Ich weiß genau, dein Herz ist gut / Du weißt ganz genau, meins wird zu Stein“, sang er. Uhlmann trauerte seiner alten Stadt bald mit einem eigenen Song hinterher: „Wie sieht’s aus in Hamburg? Sind die Bars noch laut wie Kriege?“ Ja, wenn der Hamburger erst mal aus sich rauskommt, neigt er zum Pathos, hat ein Mitglied der Popgruppe Selig neulich erkannt. Der Mann ist ebenfalls nach Berlin gezogen.

Bleibt die Frage, wo Udo Lindenberg wohnen möchte, sollte er seine Drohung wahr machen. Im Atlantic-Hotel an der Außenalster genießt er viele Privilegien, bewohnt nicht nur eine Suite zu streng geheimen Konditionen, sondern kann für seine Likörelle-Produktion auch Ateliers nutzen, im hauseigenen Restaurant gehört ihm eine Nische mit acht Sitzplätzen. Kaum vorstellbar, dass der Sänger auf diese Standards verzichten würde.

Bei früheren Berlin-Aufenthalten testete er verschiedene Häuser aus, meistens residierte er jedoch im Adlon. Dort würde man sich sehr über einen Dauergast Lindenberg freuen, erklärt die Sprecherin. Aber auch das noble Westin Grand an der Friedrichstraße hat großes Interesse. Der Hoteldirektor persönlich empfiehlt Lindenberg die „Berlin Suite“ ganz oben im siebten Stock: Wer dort aus dem Fenster guckt, sieht Unter den Linden entlang auf der einen Seite das Rote Rathaus, auf der anderen das Brandenburger Tor. Das inspiriere. Und dann erst der U-Bahnhof Stadtmitte direkt vor der Tür. Die U 2. Fans wissen es: Das ist doch quasi der Sonderzug nach Pankow.

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