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Wählerstruktur: Jung, kinderreich, gebildet – aber trotzdem nicht für Reli

Selbst zugezogene Akademiker in Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg interessierten sich nicht sonderlich für den Volksentscheid. Eine Analyse

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Jetzt wissen beide christlichen Kirchen, dass sie an die vielen jungen Zuzügler aus den westlichen Bundesländern keine überzogenen Erwartungen stellen dürfen. Ausgerechnet in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow, deren Bevölkerung seit dem Mauerbau großenteils ausgewechselt wurde, sprachen sich weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten für Pro Reli aus. Dagegen gab es in Reinickendorf und Spandau, mit einer eingesessenen und überalterten Bevölkerung, hohe Zustimmungsraten.

Das Ergebnis des Volksentscheids stützt jedenfalls nicht die These, dass zuziehende Akademikerfamilien oder Studenten, die massenhaft aus Baden-Württemberg, Hessen oder Schleswig-Holstein nach Berlin kommen, auch das dringende Bedürfnis nach einem Schulpflichtfach Religion importieren. Das Scheitern von Pro Reli und die Einwohnerstatistiken weisen eher auf andere Zusammenhänge hin. Nur jeder fünfte Berliner unter 25 Jahren gehört der evangelischen oder katholischen Kirche an. Bei den über 65-Jährigen ist der Anteil doppelt so hoch. Deshalb wundert es nicht, dass in den westlichen Stadtregionen mit noch relativ vielen Gemeindemitgliedern und einem hohen Altersdurchschnitt der Zuspruch zu Pro Reli besonders groß war.

Zwei Statistiken belegen dies: erstens die regionale Verteilung der Kirchensteuerzahler und zweitens das Durchschnittsalter der Bevölkerung in den zwölf Bezirken. Der Ost-West-Gegensatz bei der Abstimmung über Pro Reli ist also nicht nur politisch-ideologisch erklärbar, sondern auch religionskulturell und demografisch. Trotzdem bleibt die Ost-West-Barriere, wie bei allen Parlamentswahlen seit dem Mauerfall sowie beim Volksentscheid zu Tempelhof, auch ein politisches Phänomen. Denn es gibt eine verblüffend enge Verknüpfung zwischen den Ja-Sagern für Pro Reli und den Wählern von CDU und FDP.

Beide Lager verteilen sich fast identisch auf die einzelnen Berliner Bezirke (siehe Grafik rechts unten). Union und Freie Demokraten haben ja auch engagiert für beide Volksentscheide geworben. Eine Umfrage von Infratest dimap belegt diese Teilung von Berlin in zwei parteipolitische Lager. 76 Prozent der CDU-Anhänger und 62 Prozent der FDP-Anhänger sprachen sich für Pro Reli aus. Bei den Wählern von Linken, Grünen und SPD schlug das Pendel in die andere Richtung aus.

Die Vermutung, dass dieser eher konservativ-liberale Unterstützerkreis identisch ist mit dem besserverdienenden, bildungsbürgerlichen Berlin, lässt sich statistisch aber nicht belegen. Wenn dem so wäre, müsste Pankow an der Spitze der Bewegung stehen, und die Spandauer würden zu den entschiedenen Gegnern von Pro Reli gehören. Sowohl das durchschnittliche Einkommensniveau als auch der Anteil der Abiturienten und Hochschulabsolventen im jeweiligen Bezirk stehen in keinem Zusammenhang zur Frage, wie es die Bevölkerung mit dem Religionsunterricht hält. Gleiches gilt für den Grad der Erwerbstätigkeit und für die Ausländerquoten der Bezirke.

Auch viele Haushalte mit schulpflichtigen Kindern waren kein Garant für einen besseren Erfolg von Pro Reli. Das zeigen Mitte und Pankow, die kinderreichsten Bezirke, wo viele Eltern nicht am Volksentscheid teilnahmen – oder das Ansinnen von Pro Reli abgelehnt haben. Aber auch in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, wo nur fünf Prozent der Wahlberechtigten den Volksentscheid unterstützten, leben relativ viele Familien mit Kindern unter 18 Jahren. Jedenfalls nicht weniger (je tausend Einwohner) als in Steglitz-Zehlendorf. Dem einzigen Bezirk, in dem am Sonntag das gesetzliche Quorum für die Jastimmen – 25 Prozent der Wahlberechtigten – erreicht worden ist. Ulrich Zawatka-Gerlach 

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