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Waldbühne: Tiefer Schatten, aber am Himmel ein Licht

In der Waldbühne behaupteten sich die Philharmoniker und 20.000 Besucher souverän gegen die Schikanen der Bürokraten.

Es ist das kultigste Konzert der Saison. Vielleicht waren deshalb die Anfechtungen, denen die Zuhörer der Philharmoniker in der Waldbühne ausgesetzt waren, diesmal besonders hart. Die Picknicks waren deutlich schmaler als früher, den Wein gab's grundsätzlich nur noch aus Plastikflaschen. Dass es in der Sportverwaltung Beamte gibt, die offensichtlich nicht in der Lage sind, ein Punk-Publikum von Klassik-Freunden zu unterscheiden und Zeit haben, immer hirnrissigere Vorschriften zu entwickeln (und deren Gehälter zu allem Überfluss auch noch aus Steuergeldern bezahlt werden), obwohl es eigentlich niemanden gibt, der sich an die letzte große Champagnerflaschenschlacht auch nur erinnern kann, darüber muss man sich nicht aufregen. Aber dass offenbar das Profitstreben der Waldbühnen-Betreiber dazu führt, dass die Leute von Jahr zu Jahr mehr gequetscht werden und diesmal zum Teil da saßen, wie ellbogenamputierte Sardinen in einer extrabilligen Discounterbüchse ist schon ein bisschen ärgerlich. Einige Zuhörer, die 45 Euro für ihre Karten bezahlt hatten, mussten gar auf Treppenstufen sitzen. Und nein, es standen wirklich keine Taschen zwischen den Leuten. Da waren sogar einige Ordner genervt und gaben zu, dass die Zustände immer problematischer werden.

Wo so tiefer Schatten fällt, muss auch ganz viel Licht sein. Das blitzt auf in dem genialen Umgang Sir Simon Rattles mit der allerletzten rituellen Zugabe: „Berliner Luft“. Da offenbart er, dass er sein begnadetes pädagogisches Talent nicht wie in „Rhythm Is It“ auf schwierige Jugendliche beschränkt, sondern auch die artigen Fans daran teilhaben lässt. „Und jetzt mal auf Englisch“, hebt er an: „The same procedure…“ „…as every year“ jubelt es aus 20 000 Kehlen zurück. Dann geht der Star-Dirigent scheinbar bescheiden nach hinten ins Orchester, bittet den Piccoloflötenspieler das Dirigat zu übernehmen für diese beliebteste Zugabe aller Zeiten und kaspert ein bisschen mit dessen Flöte herum. Die hohe Kunst des Verzichts. Und damit die Message, dass sich ein wirklich großer Künstler eben leider nicht mit Ritualen aufhalten kann und seien sie auch noch so populär, etwas abgefedert wird in ihrer harten Wirkung, wirft er ganz am Ende, als der Jubel langsam abebbt, mit der Schlussverbeugung noch seinen Blumenstrauß ins Publikum. Wow!

Die Rhapsodien waren perfekte musikalische Freiluftkost. Bei der ansonsten fröhlichen „Espagna“ war zu erleben, wie andächtig eine einzelne Klangnote in das riesige Rund fallen kann. „An English Rhapsody“ von Frederick Delius bereitete sanft melancholisch den Boden für Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ mit dem britischen Piano-Solisten Stephen Hough. Nach der ausgiebigen Pause ging es sehr schön weiter mit der Slawischen Rhapsodie von Antonin Dvorak und der „Première Rapsodie“ von Claude Debussy. Zum offiziellen Abschluss gab es George Enescus „Rumänische Rhapsodie“.

Ein großer Abend. Und mögen die Bürokraten auch nach Kräften gegen dieses Konzert arbeiten, der Himmel ist auf seiner Seite. Das zeigte ein Bild am dämmergraublauen Nachthimmel, wie es kein Bühnenbildner schöner hätte erfinden können: Ein einzelner strahlend weißglitzriger Stern, schräg darunter in einigem Abstand die ihm zugewandte Mondsichel, wie eine elegant geformte Klangschale, die unsichtbare Noten auffängt. Zwischendurch vervollständigte ein blinkendes Flugzeug das Bild zu einem sekündlich sich ändernden Dreieck. Das und Debussy!

Wann werden endlich die Bürokraten verboten?

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