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© David Heerde

Warenhaus-Ansager: Kaufhauspropagandist: Ein Mann für alle Ohren

Peter Brunk ist die samtige Stimme aus vielen Warenhauslautsprechern. Doch der Beruf des „Kaufhauspropagandisten“ stirbt aus.

„Verehrte Kunden“, unterbricht eine freundliche Männerstimme die Kaufhausmusik, „starten Sie jetzt in den Gourmet-Herbst“, appelliert sie und fordert im nächsten Atemzug dazu auf, „neuen Schwung“ in die Küche zu bringen. Nur um kurze Zeit später keck zu versprechen, dass die Gelegenheit dazu „nie so günstig“ gewesen sei.

Der „heiße Tipp“ aus der „Gourmet-Abteilung“ gehört zum Kaffee, der heute im Sonderangebot ist – die Stimme gehört Peter Brunk, der mit seinen Kaufhausdurchsagen schon mal dafür sorgt, dass der Kaffeeumsatz um bis zu 30 Prozent an einem Tag steigt. Wenn Schlussverkäufe und Warenaktionen anstehen, schmeichelt sich Brunks samtig-weiche Stimme in die Ohrmuscheln der Kunden ein und lockt sie zur Sonderangebotsfläche. Detlef Steffens, Geschäftsführer des Kaufhofes am Alexanderplatz, kann diesen Erfolg nur messen, nicht jedoch erklären: „Herr Brunk hat diese unnachahmliche Art. Wenn er spricht, kommen die Kunden. Das schafft kein anderer.“

Wer Herrn Brunk gegenübersteht, ist überrascht: Die Stimme klingt jung, ihr Besitzer ist bereits über 70. Er lächelt viel, spricht mit ausladenden Handbewegungen. Seine Stimme haben wohl sämtliche Besucher der Kaufhof-Warenhäuser in der Hauptstadt bereits gehört. Denn Brunk ist Berlins ältester Warenhaus-Ansager, im Fachjargon Propagandist genannt. Er ist auch der einzige, der nicht nur auf Sonderverkaufsflächen Kosmetik und Schmuck anpreist, sondern im gesamten Haus mit Durchsagen und Werbespots zu hören ist. „Ich bin eine aussterbende Spezies“, sagt der Warenanpreiser. „Viele Stammkunden kennen mich seit 1979, sagen zu mir: ‚Mensch, Sie sind ja eine Institution.’ Und das bin ich in der Tat.“

1979 hat alles im damaligen Centrum-Kaufhaus am Ostbahnhof angefangen. Mittlerweile beschallt Brunk als Selbstständiger sämtliche Kaufhof-Warenhäuser in Berlin, Neubrandenburg, Halle und Cottbus. Doch sein Beruf stirbt aus, das gesprochene Wort wird im Ladenbetrieb zunehmend unwichtiger. Flackernde Riesenbildschirme ersetzen mehr und mehr gesprochene Werbebotschaften. Die große Konkurrenzkette bietet regelmäßige Durchsagen fürs gesamte Haus überhaupt nicht an.

In der DDR sei das ganz anders gewesen, erzählt Brunk und nimmt einen dorthin mit, wo alles angefangen hat: in den Kaufhof am Ostbahnhof, erster Stock, hinter eine Spiegeltür bei den Winterjacken in der Damenabteilung. Dort verbirgt sich ein altes DDR-Tonstudio mit antiquiert wirkenden Verteilerkästen und abgeschrammten Bandmaschinen. Hier hat Brunk vor knapp 30 Jahren als Gehilfe angefangen, produzierte ganze Sendungen fürs Kaufhaus, in denen Nachrichten der Gewerkschaft, Glückwünsche für Mitarbeiter und selbst zusammengestellte Musikstrecken liefen.

Brunk weiß viele Geschichten aus dieser Zeit zu erzählen. Seine schönste geht so: 1982, als in Moskau der KP-Chef Breschnew gestorben war, sei ein Anruf gekommen. Man möge sofort die fröhliche Kaufhausmusik durch getragenere Melodien ersetzen. Gesagt getan. Doch was lief als Erstes: „Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein“. Ein Affront, erzählt Brunk. Ein Russe habe ihn aufgeklärt, dass Breschnew in der Partei als „Prinz“ verspottet wurde. Früher gab das mächtig Ärger, heute kann er darüber lachen.

Aus dem Centrum-Warenhaus wurde Kaufhof. Das Sortiment der DDR ist auf eine Sonderfläche geschrumpft: „Ostgut – Qualität neu entdecken“ steht drüber. Lässig schlendert Brunk mit dem Mikrofon herum, bewirbt Schoko-Küsse, Backmischungen, Schaumfestiger, Fleckenentferner und Tütensuppen. „Packen Sie mal für Ihre lieben Verwandten in Bielefeld ein Ostpaket“ – „Das ist heute schon ein Kultkauf“ – „Verehrte Kunden, nehmen Sie sich gleich ein Körbchen mit. Man findet immer was.“ Im Nu füllt sich die Fläche. „Ich will kein Marktschreier sein, sondern seriös informieren“, sagt Brunk. Die Kunden seien reizüberflutet. „Die sehen die größten Schilder nicht, aber wenn ich hier auf der Verkaufsfläche spreche, ist es voll.“

„Ja, ich hör’ hin, aber nur mit halbem Ohr“, sagt eine junge Frau. Eine ältere Stammkundin beäugt die Blutwurstkonserven und meint: „Die Durchsagen sind nicht verkehrt, man kann sich daran orientieren.“ Vermissen würde sie sie allerdings nicht. Wenigstens ein älterer Herr, der seinen Einkaufswagen durch die engen Gänge schiebt, findet die nette Stimme aus den Lautsprechern angenehm: „Manchmal sieht man ja weit und breit keine Verkäuferin. Wenn die Stimme kommt, weiß man wenigstens, dass man beachtet wird.“

Mit 70 Jahren könnte Brunk längst in Rente gehen, doch aufhören mag er noch nicht. „Solange der Terminplan voll ist, mache ich auch weiter. Weil ich mich ständig auf dem Laufenden halten muss, bleibe ich auch geistig fit“, sagt er. „Mir hat ein Abteilungsleiter mal gesagt: Wenn Sie gehen, geht eine Ära des gesprochenen Wortes zu Ende.“ Diesen Satz im Ohr, hören sich die Durchsagen auf einmal ganz anders an. „Verehrte Kunden, starten Sie jetzt in den Gourmet-Herbst.“ Ja, diese Worte würde man vermissen.

Eine Tonprobe hören Sie unter: www.tagesspiegel.de/Stadtleben

Jörg Oberwittler

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