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Draußen und im Kollektiv - als "Event" mag der Berliner Yoga. Die Halle, in der man einfach ein bisschen rumturnen kann, sucht man hier jedoch vergebens.

© dpa

Wenn der Kult überhand nimmt: Fuck Yoga Berlin!

Yoga hilft: Man entspannt und tankt Kraft. So war es mal – und ist es leider nicht mehr, zumindest in der großen Stadt. Denn leider ist Yoga hier total hip. Zwischen Hochleistungsturnern und Lifestyle-Victims macht es einfach keinen Spaß mehr.

Als ich vor ein paar Jahren neu nach Prenzlauer Berg gezogen bin, musste ich als erstes einen „Fuck Yoga“-Aufkleber von meinem Briefkasten kratzen. Das hat mich damals schwer irritiert. Haben die Leute hier sonst keine Probleme?, habe ich mich gefragt. Es gibt doch nichts Harmloseres als Yoga. Ein bisschen meditieren, ein bisschen dehnen, das tut doch keinem weh und mit Gentrifizierung hat das auch nicht viel zu tun. Schwer getäuscht, weiß ich heute: Yoga in Berlin ist kaum zu ertragen.

Warum? Nun, dafür muss ich etwas ausholen: Ich habe mit Yoga so meine Erfahrung, denn ich bin mit einer Mutter im Kopfstand aufgewachsen. In meinen ersten Erinnerungen an das Phänomen, das man heute spontan mit bauchmuskelgestählten Hollywoodstars verbindet, liegen alte Leute im Kreis auf dem Rücken und schlafen. Meine Mama war Yogalehrerin, cool oder hochglanzmagazintauglich war das nicht. Ich habe dann auch lieber das gemacht, was ich unter Sport verstand – das hatte viel mit Rennen und Schwitzen und ziemlich wenig mit Meditation zu tun. Freiwillig irgendwo still rumliegen oder -sitzen, das wäre mir nie eingefallen.

Das hat sich erst geändert, als ich irgendwann ausgezogen bin und aufgehört habe, die Welt kategorisch in cool und uncool einzuteilen. Mit dem Studium kamen lange Stunden am Schreibtisch und ziemlich höllische Nackenschmerzen. Da habe ich gelernt: Yoga ist etwas Großartiges. Es tut gut. Und das ist bis heute so geblieben. Mann, Frau, alt, jung, dick, dünn, es gibt niemanden, dem ich Yoga nicht empfehle. Verspannungen, schlechte Laune, Kopfweh, Unruhe, Liebeskummer – Yoga kann gegen alles helfen.

Einige Jahre lang war ich ziemlich glücklich. In einer miefigen Turnhalle in Westdeutschland streckte und dehnte ich mich auf geliehenen Matten, um mich herum Menschen mit ausgebeulten Trainingshosen, die ihre Zehen auch nicht mit der Nase berühren konnten. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt über die Wurzeln des Yogas, habe gelernt, mich dabei zu entspannen, und auch meditiert habe ich ein bisschen.

Die Lifestyle-Gurus nerven!

Draußen und im Kollektiv - als "Event" mag der Berliner Yoga. Die Halle, in der man einfach ein bisschen rumturnen kann, sucht man hier jedoch vergebens.
Draußen und im Kollektiv - als "Event" mag der Berliner Yoga. Die Halle, in der man einfach ein bisschen rumturnen kann, sucht man hier jedoch vergebens.

© dpa

Dann bin ich nach Berlin gezogen. Und seitdem ich zum ersten Mal einen Fuß in ein Hauptstadt-Yoga-Studio gesetzt habe, habe ich gemerkt: Das Ursprungsproblem mit dem cool und uncool ist wieder da. Nur eben andersrum. Denn Yoga ist hier total hip. Und das ist furchtbar anstrengend. Ich suche nach bald drei Jahren in der Stadt immer noch nach normalen Menschen in gemütlichen Schlabberhosen. Mich stören nicht die guten alten Yogis mit ihren Räucherstäbchen und Mantras, die gab es immer, das sind die Harmlosen. Mich stören die Hochleistungsverrenker, die Lifestyle-Gurus, die Mr-und-Mrs-Perfect-Streber, vor denen ich mich kaum retten kann. Ihr Ehrgeiz führt dazu, dass Yoga in Berlin fast nur noch in allen möglichen High-End-Spielarten angeboten wird.

Beispiele? Schon mal was von Sun-Yoga gehört? In einem auf 40 Grad geheizten Raum sollte ich mich besser verbiegen können und hatte stattdessen irgendwann den schweißnassen Fuß meines Nachbarn im Gesicht, weil der ihm aus der Hand gerutscht war. Beim Akro-Yoga (einer Mischung aus Akrobatik und Yoga) hing ich kopfüber von den Füßen eines übermotivierten Turners herunter und habe nur durch Glück und mit eingezogenem Kopf seinen Schritt um Millimeter verfehlt. Beim Air-Yoga wälzen sich die Sinnsuchenden in Matten, die von der Decke hängen, beim Techno-Yoga-Festival bewegen sich Hunderte 48 Stunden lang „fließend zum Beat“ – unterbrochen nur von veganen Snackpausen.

Ich aber habe einfach nur Nackenschmerzen. In meinem letzten Yogastudio warben sie für „5-Sterne-Yoga-Retreats“ in irgendeinem Luxus-Schuppen an der Nordsee. Natürlich haben sich alle anderen aus meinem Kurs geschlossen angemeldet, und die Frau neben mir hat sich außerdem beklagt, dass sie diese Woche „erst zum vierten Mal“ trainieren konnte, „obwohl dann doch der Effekt nicht richtig eintritt“. Und das, während sie sich schon den Fuß hinter den Hinterkopf geklemmt hatte. Ich traue mich kaum noch auf die Matte. Falls ich nicht ganz schnell etwas anderes finde, ziehe ich auch bald nachts mit Aufklebern los. Fuck Berlin Yoga!

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