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Tag der deutschen Einheit

© ddp

Wiedervereinigung: Der Klang der Einheit

So wurde gefeiert – und so soll erinnert werden: Berliner und Touristen strömten zu den Feiern des 3. Oktober – die meisten zum Konzert am Brandenburger Tor.

„Ich weiß noch genau, wie ich hier über die Mauer geklettert bin und oben der Vopo hilfslos mit seinem Funkgerät stand“, sagt Hanz Günter Martin. „Ich wollte damals eigentlich durchs Tor laufen, und, naja, heute geht das wieder nicht.“ Denn am Tag der Deutschen Einheit verdeckt eine gigantische Bühne das Brandenburger Tor, zwei Tage lang gab es deutschen Rock und Pop. Als Adel Tawil von „Ich + Ich“ per Mikrofon „von diesem besonderen Tag und dieser bedeutsamen Location“ schwärmt, drängen sich auf der Straße des 17. Juni Massen wie zur Fußball-WM 2006.

Es ist eben ein Feiertag, ein Tag zum Feiern, auch 17 Jahre danach, Berliner und Berlin-Besucher sind zu den Events des 3. Oktober geströmt. Einen besonders guten Blick haben die Arbeiter im Blaumann auf dem Dach der Baustelle der US-Botschaft, die trotz allem fleißig sind. Auch auf der Dachterrasse der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz stehen Schaulustige – eine der sieben Vertretungen in den Ministergärten, die zum Tag der offenen Tür luden. Die Stelen des Holocaust-Mahnmals wirken von oben wie Bauklötze, man sieht hinab auf die Hightech-Fahrräder der Firma „Canyon“ aus Koblenz, drinnen zeigt eine Schau historische Laufräder. Bei „Meck-Pomm“, wie hier die Leute mit Fischbrötchen in der Hand sagen, spielt ein Polizeiorchester vor der Kulisse des HiFlyers „What a Wonderful World“.

So sehen das Bärbel Sütterlin, 64, und Elisabeth Lau, 70, aber nicht. Ganz ehrlich, sagen die Freundinnen aus Köpenick beim historischen Fest auf dem Gendarmenmarkt, in der „kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ fühlen sie sich nicht heimisch. „Auf Modeschauen tragen Models Kleider für 35 000 Euro, und in Afrika gibt es noch nicht mal Trinkwasser“, beklagt Elisabeth Lau. „Wie sich Menschen im Arbeitsleben mit Kleidung und Verhalten bei Chefs anbiedern, und andere für ihre Arbeit gar keinen Lohn bekommen, weil die Firmen pleite machen“, missfällt der pensionierten Kindergärtnerin Bärbel Sütterlin.

Jetzt aber seien genug der zeitkritischen Worte verloren, die Frauen schlendern noch ein wenig vorbei an den Ständen mit Straußenbratwurst, Linsensuppe und Caipirinha-Cocktails. Drinnen begeisterte das Konzerthausorchester mit seiner „Mozart Matinee“ auch die Festbesucherin Susanne Marcuse. „Ich arbeite bei einer amerikanischen Computerfirma, wir Kollegen aus Ost und West haben gerade unsere tollsten Erlebnisse von der Wiedervereinigung ausgetauscht.“

Mauer, Stasi, SED – das alles kennen Leonie, 15, und ihre Schwester Corry, zehn, nur vom Hörensagen. „Aber bei mir in der Schule in Britz merkt man das noch, wer aus dem Osten und wer aus dem Westen kommt“, sagt Leonie. Wie, bitte? „Viele Ossis sind von der Mentalität, vom Lebensstil und Denken her spießiger und nicht so aufgeschlossen“, meint Leonie. „Die würden eher CDU wählen statt die Grünen und sind auch nicht so multikulti drauf“, sagt die 15-Jährige. Jetzt möchte sie aber gern wieder der Musik von „Ich + Ich“ lauschen. Allerdings ist – anders als von der Moderatorin Anatasia angekündigt – Sängerin Annette Humpe nicht dabei, die sich vom Bühnengeschäft zurückgezogen hat. Die zehnjährige Corry hofft, dass „nächstes Jahr Annett Louisan spielt, die mag ich total“.

Annette Kögel

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