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Campingplatz

© Kitty Kleist-Heinrich

Zeltplatzstreit: Naturschutz: Camper sollen aus dem Wald verschwinden

Für 500 Camper in Berlins Südosten geht die Saison zu Ende - wie in jedem Herbst. Doch 2009 sollen die Zelte ganz aus dem Wald verschwinden, sagt die Forstverwaltung. Und am Ende läuft alles auf eine Frage hinaus: Bäume fällen oder nicht.

Jetzt verlassen die „Waldmenschen“ wieder ihre gute Stube im Grünen. Susanne Magasch, 30, wuchtet die Box mit den Küchenutensilien aus dem Wohnzelt am Seeufer,ihre sechsjährige Lara zerrt unterdessen an den Heringen. Die traditionelle Saison geht für die Dauercamper an der „Großen Krampe“ bei Müggelheim zu Ende.

Schräg strahlt die Herbstsonne auf Bänke und Stege am Wasser, Wind saust durch die Kiefern, aber jetzt hat niemand Zeit für eine Pause. Gut 500 Zelter schleppen ihre Sachen heim, bis sie das nächste Frühjahr erneut ins Freie lockt. Das geht hier seit 80 Jahren so. Doch im kommenden Jahr soll damit Schluss sein. 2009 dürfen sie ein letztes Mal in ihr Paradies zurückkehren. „Die Forstbehörde will, dass wir hier verschwinden“, sagt Ullrich Hohwieler vom Camping Club Müggelheim.

Susanne Magasch hat schon als Kind an diesem Ufer gespielt, das Ortsfremde nur eher durch Zufall finden. Für sie und ihre Geschwister war es „das Indianerlager“, ihre Eltern fühlten sich als „Waldmenschen“. Jedes Wochenende floh die Familie aus der Großstadtenge zum Ufer der Großen Krampe, die sich wie ein schmaler Fjord von Schmöckwitz nach Müggelheim hinzieht. Später lernte sie im Camp ihren Mann kennen, heute hat Susanne Magasch mit ihrer kleinen Familie einen eigenen Dauerzeltplatz. „Hier gibt es keine touristischen Camper“, sagt sie. „Das ist für uns alle eine preisgünstige Freizeitstätte inmitten der Natur.“

180 Kiefern sind brüchig und eine Gefahr für die Camper

Dass ihre Idylle nun bedroht ist, hängt mit 180 brüchigen Kiefern auf dem Zeltplatz zusammen. Vor 130 Jahren wurden die inzwischen haushohen Bäume gepflanzt. Als Mädchen hat Susanne Magasch aus ihrer Rinde Schiffchen geschnitzt und nicht geahnt, in welche Gefahr im doppelten Sinne sie einmal das Refugium der Camper bringen werden. Nach einem Gutachten der Forstverwaltung „können alte Äste im Sturm herunterbrechen und Menschen erschlagen“. Das sei nicht zu verantworten, heißt es. Die Camper müssten weg.

Diese halten dagegen, man könne doch die Bäume fällen und den Platz danach wieder aufforsten, woran sie sich tatkräftig beteiligen wollen. Für die Forstbehörde ist ein solcher Kahlschlag aber „aus Naturschutzgründen tabu.“ So spitzt sich der Konflikt auf die Frage zu: Naturschutz oder Sozialschutz? Was ist erhaltenswerter – die Kiefern oder eine traditionsreiche Erholungsstätte, die für viele zur zweiten Heimat geworden ist?

Die Wurzeln des Campings an der Großen Krampe reichen in die Zwanziger Jahre zurück. Damals entdeckten viele Arbeiterfamilien das Zelt als billige Datsche und zogen mit der Sportbewegung von SPD und KPD hinaus ins Grüne. Auf beiden Seiten der Großen Krampe entstanden Plätze für Dauerzelter. Der berühmteste Berliner Campingplatz dieser Zeit lag allerdings am Großen Müggelsee und hieß „Kuhle Wampe“ – wegen des kühlen Wassers seiner Badebucht. Bertolt Brecht hat diesem Ort mit seinem Film „Kuhle Wampe“ 1932 ein Denkmal gesetzt. Der Originalplatz existiert längst nicht mehr, aber zu DDR-Zeiten gab man den Zeltplätzen am Westufer der „Großen Krampe“ dann zur Erinnerung den gleichen Namen, während das gegenüberliegende heute bedrohte Zeltdorf schlicht „Große Krampe I und II“ heißt.

13 000 Euro Pacht zahlen die Camper dort pro Saison an den Forst. Ihr Vertrag läuft in einem Jahr aus. Doch Clubchef Ullrich Hohwieler hat seinen Kindern versprochen „zu kämpfen“. Sie wuchsen wie der Vater hier auf, inzwischen haben sie ihre eigenen Zelte an der Großen Krampe aufgeschlagen.

Wohnwagen sind untersagt. Und mit dem Auto kommt auch keiner.

Hohwieler ist ein großer, kräftiger Fünfziger, der selbst an kühlen Herbsttagen noch im T-Shirt durch den Wald läuft. Seine Platzrunde beginnt er am Anleger der BVG-Fähre F 21, einem Dieselkahn, der zwischen Schmöckwitz und den beiden Campingplätzen rechts und links der Großen Krampe pendelt. Fast alles, was sie brauchen, schleppen die Zelter per Fähre oder zu Fuß von Müggelheim an, die Anfahrt mit dem Auto über eine holprige Piste ist „aus Umweltschutzgründen die absolute Ausnahme“, sagt Hohwieler. Dann bestellt er erstmal einen Milchkaffee in der „Camper-Klause“, Clubgaststätte und Geheimtipp für Wanderer. Von hier aus überblickt man gut die Zeltstadt.

Wohnwagen sind untersagt, es wird noch unter Stoffplanen gecampt, zumeist in luftigen Bungalows, die wie kleine Festzelte aussehen. Drinnen ist die gute Stube komplett, vom Teppich bis zur Spielzeugkiste. Nur Strom fehlt, Licht spenden Kerzen, gekocht wird mit Propangas. Familienclans haben ihre Zelte im Rondell aufgestellt – mit dem gemeinsamen Esstisch im Mittelpunkt. Daneben Sandkisten, Ping-Pong , Spielplätze. Ganz vorne, am Ufer, ist Gerda Steinert, die 80-jährige Sprachprofessorin aus Weißensee, gerade in ihre Yogaübungen versunken. Seit 36 Jahren genießt sie das „minimalistische Leben.“ Nebenan wohnen Ingrid und Bernd Kopp, „wir sind hier alt geworden“, sagen sie. Als Rentner leben sie oft wochenlang an der Großen Krampe.

Der Campingclub hat den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses angerufen, aber ein Abfuhr erhalten. „Wir achten auf den Wald, weil wir uns mit diesem Stück Land identifizieren“, schrieben sie. Doch in seiner Antwort wiederholte der Ausschuss nur die Argumente der Forstverwaltung, mit den Zeltern hat bislang kein Parlamentarier gesprochen. Ausschusschef Ralph Hillenberg (SPD) bedauert das inzwischen, weil er persönlich auf Seiten der Camper steht: „Es ist unmöglich, was unser Beamtenstaat da anstellt.“ Müssen die Waldmenschen tatsächlich weichen, will Ingrid Kopp ein Schmuckkästchen mit ihrer liebsten Erinnerung füllen: „Ich pack mir ein bisschen Erde ein.“

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