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Berlin: Stadtmenschen: Özdemir liest: "Wir leben hier"

Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (Bündnis90 / Die Grünen) besuchte gestern früh die Lise-Meitner-Schule im südlichsten Zipfel von Neukölln. Das Oberstufenzentrum für Chemie, Physik und Biologie, benannt nach der Physikerin.

Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (Bündnis90 / Die Grünen) besuchte gestern früh die Lise-Meitner-Schule im südlichsten Zipfel von Neukölln. Das Oberstufenzentrum für Chemie, Physik und Biologie, benannt nach der Physikerin. Wenn ein türkischstämmiger Politiker in dieser Ecke auftaucht, könnte man vermuten, dass unter den 1300 Jugendlichen, die diese Schule besuchen, ein großer Anteil nicht-deutscher Herkunft ist. Doch so ist es nicht. "Eher sehr wenige", antwortete die Lehrerin Gisela Hamm auf die Frage, wieviele es sind. Also was macht dann morgens um zehn ein türkischstämmiger Politiker hier?

Er ist zusammen mit Jugendlichen, die diese Schule besuchen, Co-Autor des Buches "Wir leben hier". Das Buch ist zum ersten Mal nach den rassistischen Ereignissen 1991 in Hoyerswerda im Alibaba-Verlag in Frankfurt am Main erschienen. Anne Teuter und Ulrike Holler haben damals deutsche und nicht-deutsche Jugendliche über ihre Erfahrungen und Wünsche in Deutschland schreiben lassen. Der damals noch nicht so populäre Politiker war gerade 24 Jahre alt und schrieb: "Du andere Baustelle? oder: Aus dem Leben eines Spätzletürken."

Nun wurde das längst vergriffene Buch, von dem bisher 100 000 Exemplare verkauft wurden, in einer erweiterten Fassung von Anna und Abraham Teutner neu herausgegeben. "Erschrocken und betroffen nutzten Buchhändler, Gewerkschaften und die Chefs großer Firmen das Buch zur Aufklärung", erinnerte sich Abraham Teutner, der Lehrer an einer Gesamtschule mit 60 Prozent Ausländeranteil ist. An der neuen Auflage des Buches haben auch Berliner Schüler, wie Asia Afaneh, Rukiye Gencyigit und Zvonimir Marelja von der Lise-Meitner-Schule mitgeschrieben. Deshalb gab es die Lesung an diesem von türkischen Berlinern nicht so häufig frequentierten Ort. "Manches klingt heute vielleicht fremd, vieles ist noch gleich geblieben", sagte Özdemir. Für den Verlag war er ein willkommener Aufhänger. Die Veranstaltung war sehr gut besucht, und die Schüler haben bis zuletzt interessiert zugehört. "Als ich noch klein war, habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wo ich herkomme, aber die Leute haben immer danach gefragt," hat zum Beispiel Asia vorgelesen. Die Meinungen ihrer Mitschüler zu den Buch gingen hinterher von "weiß nicht" bis "sehr gut" auseinander. Ob sie damit etwas verändert hat, werden wir vielleicht in zehn Jahren sehen.

suz

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