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Stadtplanung: Umbaute Leere in Berlins Mitte

Stadtplaner Hans Stimmann wünscht sich eine intensive Debatte über die Mitte der Hauptstadt. Zur Ratlosigkeit im planerischen Umgang mit dem Zentrum der Stadt.

Wer wissen will, wie sich das geteilte Berlin bis 1989 angefühlt hat, besichtige das Kulturforum an der Gemäldegalerie und die alte Stadtmitte mit Rathaus, St. Marien, Molkenmarkt – diese beiden Orte der ehemaligen geistig-politischen Mitte des geteilten Berlins. Mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall wird hier immer noch die mauerübergreifende Radikalität des Umgangs mit der Geschichte und gleichzeitig die Abwesenheit einer gemeinsamen Mitte sichtbar.

Bis zum November 1989 arbeiteten der Magistrat Berlin (Ost) und der Senat Berlin (West) auch bei der Lösung städtebaulicher Probleme im Zentrum streng getrennt. Das politisch planerische Gegeneinander wurde besonders zur 750-Jahr-Feier 1987 sichtbar. Dem Ost-Berliner Magistrat, im Besitz sämtlicher Grundstücke der Gründungskerne Berlin und Cölln, war das Stadtjubiläum Anlass für eine Art kritischer Rekonstruktion des Nikolaiviertels. Das neue Altstadtviertel war aber keineswegs Zeichen für eine Renaissance bürgerlichen Lebens, sondern war lediglich städtebauliches Ornament des Staatsraumes der Hauptstadt der DDR.

Zeitgleich dazu fanden im Westen Berlins Debatten über ein programmatisch „Zentraler Bereich“ genanntes Gelände nördlich und südlich des Kulturforums statt. Ausgangspunkt dafür war der städtebauliche Rahmenplan der IBA mit einem Plan von H. Hollein für das Kulturforum und der Ausweisung des Spreebogens als grüne Stadtlandschaft. Den letzten Beitrag zu dieser West-Berliner Debatte über einen „Zentralen Bereich“ an der Mauer lieferte der rot-grüne Senat (1989 bis 1991) mit dem Vorschlag einer „Grüntangente“.

Mit dem Fall der Mauer waren die verkrampften Bemühungen um einen „Zentralen Bereich“ und einen Staatsraum anstelle der Altstadt plötzlich Makulatur. Mit der Bildung des ersten gemeinsamen Senats (Anfang 1991) endete die 40-jährige Phase der getrennten Suche nach einer Mitte. Es begann eine Phase intensiver Planungen und Wettbewerbe, begleitet von Kontroversen über die zukünftige Funktion der verstaatlichten historischen Mitte, die Lage der Parlaments- und Regierungsstandorte, die des neuen Hauptbahnhofes und der Bedeutung des Potsdamer Platzes. Die neuen Areale sind trotz ihres fragmentarischen Charakters inzwischen Orte von höchster Attraktivität: Hauptbahnhof, Parlaments- und Regierungsviertel, Pariser Platz, Potsdamer Platz, Friedrichstraße, Unter den Linden, Museumsinsel, Friedrichswerder. Ausgeklammert sind dagegen bis heute das Kulturforum und die alte Stadtmitte mit Rathaus, Marienkirche und Molkenmarkt. Was man allenfalls spürt, sind die Brüche, die Politik und Planung hier hinterlassen haben.

Nun gehört es zu den Merkmalen Berlins, dass Brüche und das Unfertige die Stadt in Bewegung halten. An dieser berlintypischen politisch-kulturellen Dynamik fehlt es offensichtlich im Umgang mit den beiden teilungsbedingten Leerstellen, nämlich dem Areal der Hauptstadt der DDR anstelle der Altstädte und dem Schloss und dem Kulturforum als der Museumsinsel West-Berlins auf den Trümmern der NS-Nord-Süd-Achse. Der Versuch, diese Areale mit einer je eigenen Funktion für die Stadtmitte zurückzugewinnen, liegt mit dem 1996 aufgestellten „Planwerk Innenstadt“ nun auch schon über 15 Jahre zurück. Folgen hatte dieses strategische Projekt für die beiden Leerstellen nicht.

Natürlich wird auch heute geplant – von Tempelhof über die A 100 bis Tegel. Der Gegenstand dieser Planungen ist jedoch die Peripherie und das Kennzeichen der Zusammenhanglosigkeit. Für sie gibt es weder eine strategische noch eine räumliche Mitte. Es verwundert daher nicht, dass die einzig wirklich kontroverse Debatte die Planung der Autobahn A 100 betrifft, bei der mit den Argumenten West-Berlins der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts für ein aus den 50er Jahren stammendes Konzept gestritten wird.

Ähnliches gilt für die aktuellen parteipolitisch gefärbten Debatten über die Weiterentwicklung der ehemaligen Altstadtareale. Nur geht es hier nicht um ein Problem der Erschließung des Zentrums durch eine Stadtautobahn, sondern um die Geburtsorte Berlins, die von einer stadtautobahnähnlichen Schneise brutal durchschnitten werden. Der Radikalität, mit der die historische Mitte mit Altstadt und Schloss abgeräumt wurde, entspricht der Ratlosigkeit der politischen Parteien im Umgang mit diesem Ort, dessen Erinnerung allenfalls bis in die 60er Jahre zurückreicht. Die Grünen sind für eine grüne Mitte, die Linke für die Erhaltung des Status quo, die SPD weiß nicht, was sie will, und die Sorge der CDU und FDP gilt allein dem Autoverkehr. Bei der CDU scheint allerdings ein Prozess des Umdenkens in Gang zu sein. Was hier aber parallel zum Bau des Humboldt-Forums ansteht, ist so etwas wie die Neugründung der wiedervereinigten Stadt, deren Bild heute fast in jedem Detail nur die Geschichte der Herrschaft einer Parteiendiktatur erzählt.

Beginnen könnte man mit der Umgebung der buchstäblich vergrabenen Marienkirche, um ihr wieder Maßstab und Würde zurückzugeben. Ähnliches gilt für das Rathaus, das Stadthaus und die Klosterkirche. Generell fehlen die verbindenden und angemessen dimensionierten Straßen und Plätze für Wohn- und Geschäftshäuser. Dabei muss schon positiv vermerkt werden, dass über den Umgang mit der Leere vor und hinter dem Rathaus überhaupt gesprochen wird. Denn um die Zukunft des Kulturforums herrscht seit dem Beschluss des Senats über einen Masterplan im Jahre 2005 parteiübergreifendes Schweigen. Dieses in den 60er Jahren als Antwort des West-Berliner Senats auf die Museumsinsel geplante Quartier dämmert buchstäblich im Schatten des Potsdamer Platzes vor sich hin. Den räumlichen Mittelpunkt bildet die Matthäikirche, die daran erinnert, dass hier einmal ein bürgerliches Wohnquartier seinen Mittelpunkt hatte. In diesem „Dahlem der Jahrhundertwende“ wohnte von Lorenz Adlon bis Carl Zuckmayer die wirtschaftliche, kulturelle und politische Elite Berlins in Villen und Stadthäusern, die zum Besten gehörten, was die Stadt um 1900 an Privatarchitektur hervorgebracht hatte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeigte sich das Quartier als Trümmerlandschaft mit dem monumentalen Fragment des „Hauses des Fremdenverkehrs“ als Teil der Speerschen Achse. Für den Bau des Kulturforums wurde dann bis auf die Kirche und die Villa des Verlegers Paul Parey sämtliche kulturellen und architektonischen Spuren beseitigt. Die Sprengung des Hauses des Fremdenverkehrs der NS-Zeit erfolgte im Oktober 1962.

Das Gedächtnis des Kulturforums reicht daher wie in der Altstadt nur bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Natürlich stand auch hier mehr an Bausubstanz, aber mit dem starren Blick auf die Speersche Planung wurde auch die Architektur des späten 19. Jahrhunderts sozusagen stellvertretend Opfer für die NS-Barbarei. Die systematische Zerstörung betraf auch den Stadtgrundriss als Träger des Stadtgedächtnisses. Erst 1967 erfolgte die Bebauung der alten Potsdamer Straße mit der Neuen Staatsbibliothek mit dem Rücken zur Stadtautobahn.

Der Autor war bis 2006 Senatsbaudirektor in Berlin. In den neunziger Jahre entwickelte der Architekt und Stadtplaner maßgeblich das „Planwerk Innenstadt“ und setzte sich für einen kontextuellen Städtebau im Sinne der „Kritischen Rekonstruktion“ ein.

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