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Städtebau in Berlin: Wie die Menschen in Zukunft leben wollen

Unser Wohnraum verändert sich stetig. Demografischer Wandel, steigende Mobilität, Verstädterung - all das verlangt nach neuen Ideen. Hier werden Projekte aus Berlin vorgestellt, die vorbildlich sind.

Gemüse wird nicht angebaut, auch wenn es so aussieht in dem Hinterhof eines Weddinger Fabrikgebäudes. Hoch oben auf dem Dach thront ein Treibhaus. Und es ist bewohnt. Mit Schlafzimmer, Küche, Kamin. Wenn hier etwas heranwächst, dann ist es der Traum von einem neuen Wohnen in Berlin.

Architekt Christof Mayer reizte das Projekt sofort. „Es ist ein Penthouse, aber in einer Low-Budget-Version”, sagt er. 70 000 Euro hat der Bau gekostet, das Gewächshaus ist ein handelsübliches Modell. Verbaut wurden recycelte Fenster und Heizkörper. Um das Haus stabiler und beheizbar zu machen, ließ der Architekt zwei gemauerte Wohnwürfel auf das Flachdach des Fabrikgebäudes setzen. Darüber wurde die lichte Treibhaus-Konstruktion gestülpt.

Das gewölbte Dach ist aus doppelter Plastikfolie. „Sie müssen sich die Hülle wie einen Regenmantel vorstellen”, sagt Mayer. Damit dieser Mantel atmungsaktiv bleibt, lässt sich das Dach großflächig öffnen. Im Sommer sorgen Schiebetüren zur Dachterrasse für Luftigkeit. Sonnensegel unter der Decke verhindern, dass sich das 90 Quadratmeter große Haus zu sehr aufheizt. Im Winter ist es kalt, so dass nur die gemauerten Bereiche im Inneren konstant genutzt werden können. „Sie leben hier mit den Jahreszeiten”, sagt Mayer.

Ideen für die vier Wände der Zukunft

Innerhalb von sechs Monaten stand der Bau. Noch mal so lange hatte es vorab jedoch gedauert, die Behörden von dem Projekt zu überzeugen. Immerhin gibt es nichts Vergleichbares in Berlin. Die Idee geht auf das französische Architekturbüro Lacaton & Vassal zurück, das auf der Documenta 2007 in Kassel ein Treibhaus im Park aufstellen ließ und zum temporären Ausstellungsgebäude umfunktionierte. Auch das Weddinger Penthouse ist nicht für die Ewigkeit gedacht. „Es hat schon einen experimentellen Charakter”, räumt Mayer ein. Immerhin steht es nun aber schon drei Jahre und wird von einem Paar genutzt.

Immer wieder machen sich Designer Gedanken darüber, wie Wohnen der Zukunft aussehen könnte, wie wir den mobiler werdenden Menschen begegnen und gleichzeitig den Stadtraum ausnutzen. Prominentestes Beispiel ist Werner Aisslingers sogenannter Loftcube, 2003 entworfen. Man kann ihn allerdings nur per Kran oder Hubschrauber in luftigen Höhen aufstellen. Der international renommierte deutsche Designer präsentierte seinen Wohncontainer erstmals auf dem Dach der Plattenfirma Universal Music, eines ehemaligen Kühlhauses an der Spree. Inzwischen steht der Kubus wieder auf der Erde, im Garten vom Haus am Waldsee in Zehlendorf

So individuell wie möglich wohnen

Da ist die Weddinger Variante doch realistischer. Die Vision ist verlockend: Das Penthouse ist vergleichsweise günstig, flexibel und nützt vernachlässigte Flächen optimal. Außerdem ist das Projekt 2012 mit dem Architekturpreis „Zukunft Wohnen“ in der Kategorie „Wohnen mit geringem Budget“ ausgezeichnet worden. Kann der Prototyp also in Serie gehen? Architekt Mayer winkt ab: „Das klassische Berliner Mietshaus eignet sich nicht.” Viele Bauherren haben schon bei ihm angefragt, doch meistens, sagt er, seien sie nicht wiedergekommen. Es gibt zu wenig geeignete Dächer.

Der Weddinger Standort war indes ideal: Das Gewächshaus steht genau genommen nämlich nicht auf einer Dachfläche, sondern auf einem im Krieg zerbombten Geschoss. Dadurch musste die Ebene nicht neu erschlossen werden. Das Treppenhaus führt bis ganz oben, ein Lastenaufzug auch, außerdem waren schon alle Anschlüsse gelegt. Der private Eigentümer war dem Projekt gegenüber aufgeschlossen. „Das war schon alles ein Glücksfall”, sagt Christof Mayer.

Lernen kann man aus dem Projekt dennoch. Denn es passt zu dem, was Marktforscher prognostizieren: Die Deutschen wollen immer häufiger persönlich zugeschnittene vier Wände. So spricht das Zukunftsinstitut in seinem neuen Trendbericht über das Wohnen von einem „starken Individualisierungsbedürfnis“. Und auch eine Studie der Leibniz-Universität Hannover aus dem vergangenen Jahr kommt zu dem Ergebnis, dass sich in den letzten zwanzig Jahren die „Individualisierung des Wohnverhaltens fortgesetzt hat”.

„Die Immobilienbranche hat noch nicht erkannt, dass sich Wohnbedürfnisse grundlegend wandeln”, sagt Franziska Steinle vom Zukunftsinstitut. Das Beratungs- und Trendforschungsunternehmen formuliert in seinem Bericht zu erwartende Veränderungen. Da heißt es etwa: Dezentrales Wohnen setze sich zunehmend durch. „Die Wohnung bleibt der Kern, neue, ausgelagerte Bereiche kommen hinzu.” Beispiele dafür lassen sich heute schon finden: Kreative und Selbstständige sparen sich ihr Arbeitszimmer zu Hause und mieten einen Schreibtisch in einem Co-Working-Büro. Überhaupt kann man sich dank einer sich entwickelnden Kultur des Teilens immer mehr sparen – nicht nur das eigene Auto, sondern vielleicht sogar eine geräumige Küche. „Uns hat überrascht, wie stark der Gedanke der Shareconomy, also die Idee des Teilens und Tauschen, auch das Wohnen betrifft. Wer Gäste bewirten möchte, kann sich heute hierfür eine Küche inklusive Leihkoch mieten”, sagt Franziska Steinle.

Die Wohnung als Oase zum stressigen Alltag

Wer keinen eigenen Garten hat, pflanzt seine Rübchen im Gemeinschaftsbeet eines Urban-Gardening-Projekts an. Das neueste Berliner Projekt liegt wie das Gewächshaus-Penthouse ebenfalls in Wedding. Das Himmelbeet in der Nähe vom Leopoldplatz bietet auf 1700 Quadratmetern Fläche eine Anlaufstelle für den ganzen Kiez. „Bei uns bildet sich die ganze Bevölkerungsstruktur ab”, sagt Hannah Lisa Linsmaier, Geschäftsführerin der gemeinnützigen GmbH. Mittlerweile kommen junge Akademiker genauso wie Rentner zum Himmelbeet. Eine türkische Frau aus der Nachbarschaft hat im vergangenen Sommer Kräuterworkshops gegeben. In der nächsten Saison wollen Hannah Lisa Linsmaier und ihre Mitarbeiter zudem zweisprachige Kurse anbieten, damit auch Migranten mitmachen können, die nicht so gut Deutsch sprechen. Denn eines ist klar: „Es geht nicht nur um ökologische Selbstversorgung. Der soziale Aspekt ist ganz wichtig.” Franziska Steinle vom Zukunftsinstitut bestätigt das: „Individualität und Gemeinschaft werden gleichermaßen wichtiger.”

Autoren der repräsentativen Studie „Wohntrends 2030“ des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen rufen derweil die „25-Stunden-Gesellschaft“ aus. Immer mehr packen wir in einen Tag. Das bedeutet: Wer Job, Familie, Freunde und Sport miteinander vereinbaren will, für den muss die Stadt subjektiv schrumpfen – auch wenn sie durch die Urbanisierung immer größer und dichter wird: Die Kita liegt bestenfalls auf dem Weg zum Büro, das Fitness-Studio um die Ecke und Einkaufsmöglichkeiten auf dem Nachhauseweg. Das bedarf lebendiger Stadtquartiere mit einer guten Infrastruktur. „Das intensive Leben ist aber auch anstrengend, die Wohnung soll deshalb einen Ruhepol darstellen”, sagt Bettina Harms, die an der GdW-Studie mitgearbeitet hat. „Die Menschen wollen daher helle, freundliche Räume, natürliche Materialien und die Möglichkeit, in einem wohnlichen Bad zu entspannen.”

Design soll den Alltag erleichtern

Dazu kommen die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt: Laut Zukunftsinstitut litten 2002 knapp mehr als 600 000 Personen in Deutschland zwischen 80 und 89 Jahren an Demenz, 2050 sollen es geschätzt etwa 1,63 Millionen dieser Altersklasse sein. Die Trendforscher fordern daher, die Prinzipien des sogenannten „Universal Designs” zu einem grundsätzlichen Planungsansatz zu machen – ein Design, das darauf achtet, dass es alle nutzen können, egal wie jung oder alt, fit oder krank man ist. Es soll den Alltag erleichtern.

„Zum Beispiel möchten Sie doch eine schwere Tasche nicht in den Dreck stellen, wenn Sie an der Haustür nach dem Schlüssel suchen. Also baut man eine Ablage an den Eingang und darüber ein kleines Licht”, sagt der Berliner Architekt Eckhard Feddersen und gibt noch ein weiteres Beispiel, wie sich „Design für Alle” im Immobilienmarkt umsetzen lässt: „In langen Hausfluren sucht jeder Mensch die richtige Wohnungstür. Die sollte nicht in der Wand verschwinden. Wir bauen deshalb einen farbigen Rahmen drum herum und setzen darauf eine Leuchte.” Es geht um mehr Komfort.

Und Design für Alle heißt schon lange nicht mehr nur für Alte. „Es muss sinnfällig sein und schön. Auch junge Leute freuen sich, wenn Handtuchhalter in zwei Höhen im Bad angebracht wurden. Die brechen sich ja auch mal ein Bein.” Und wie reagieren Bauherren auf solche Ideen? „Die Akzeptanz für Universal Design wird größer“, sagt Feddersen.

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