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Neuer Park: An Werktagen wird es still auf dem Tempelhofer Feld

Eine Viertelmillion Besucher zur Eröffnung waren keine Kunst. Doch wie sieht es auf dem Tempelhofer Wiesenmeer an einem ganz normalen vernieselten Werktag aus?

Neugier und Rahmenprogramm waren riesig und das Wetter okay, als der neue Park eröffnet wurde. Hinzu kam jener Herdentrieb, der die Berliner in Massen stets dorthin lockt, wo Massen erwartet werden, ob Fanmeile, Riesen oder Knut. Aber wie sieht es auf dem Tempelhofer Wiesenmeer an einem ganz normalen vernieselten Werktag aus? Ist da jemand? Und wenn ja: Wer?

Was von der Stadtautobahn oder aus der Ringbahn bestenfalls als dunkler Punkt erkennbar wäre, ist aus der Nähe betrachtet die festlich gedeckte Picknicktafel von Cherrin und Pascal. Oliven, Datteln, Weintrauben, Lachs, Wurst und Käse, sogar eine Vase mit Plastikblumen. Daneben liegt noch das Tuch, mit dem er ihr auf dem Weg hierher die Augen verbunden hatte; zum Glück hat niemand die Polizei gerufen. Der Westwind fühlt sich an, als wolle er gleich ein paar Schneeflocken auf die Picknickdecke streuen, aber Cherrin versichert, ihr sei noch ganz warm vor Aufregung. Man möchte den beiden schon ganz ergriffen zur Verlobung gratulieren, doch Pascal stellt klar, dass es sich lediglich um eine nette Überraschung handele. „Schön, was aus dem Flughafen geworden ist“, sagt er. Und Cherrin kann kaum fassen, wie riesig die Wiese wirkt, wenn man mittendrin sitzt.

Entlang der Südbahn kommt nach Cherrin und Pascal lange nichts. Rechts bitten Schilder, das Brutgebiet der Feldlärche zu schonen und auf ihr Gezwitscher zu achten, wenn sie hoch in der Luft über der Wiese steht. Tatsächlich: Pausenlos trällert das hohe Vogelstimmchen aus der Weite irgendwo zwischen dem Grün und dem Grau. Sonst ist es völlig still. Selbst das Gekläff der Hunde in den umzäunten Auslaufgebieten wird vom Winde verweht, den hier nichts bremst. Für dieses Gefühl fahren manche Stadtmenschen stundenlang bis tief in die Mark.

Zwei ältere Sicherheitsleute radeln vorbei. Sie werden die einzigen Aufpasser bleiben, die an diesem Vormittag zu sehen sind. Der südliche Teil des Geländes ist der abgelegenste. Nur selten keucht ein Jogger oder ein Skater den Rundweg entlang. Ansonsten ist der Ort entschleunigt wie ein Urlaubstag auf dem Land. Allerdings er wird immer größer, je weiter man sich von den Rändern zur Mitte hin bewegt. Wehe dem, der hier zu Fuß ist und vom Gewitter überrascht wird.

Niko und Marvin wäre ein wenig Action ganz recht. Ein Wandertag hat die beiden Sechstklässler aus Britz hierher verschlagen. Die anderen aus ihrer Klasse tummeln sich im Biergarten nahe dem Columbiadamm, wo es Zwei-Personen-Picknickkörbe in den Varianten „Rustikal“ und „Mediterran Bella Italia“ für je 18,90 Euro sowie diverse Grillspezialitäten gibt. Wettermäßig ist heute Chilibeißer-Tag. „Wenn es richtig geregnet hätte, wären wir ins Technikmuseum gegangen“, sagt Marvin bedauernd. Gerade hat er mit Niko versucht, auf einen der Bäume am früheren Schießstand zu klettern, aber die Platane war zu glatt. Also nehmen sie Plan B in Angriff und springen auf ihre Waveboards. Die ähneln Skateboards, haben aber nur zwei Rollen und werden durch wedelnde Beinbewegungen beschleunigt. „Da hinten fährt es sich ganz geschmeidig“, sagt Niko und deutet Richtung Neukölln. „So eine super Oberfläche haben wir sonst nur bei Marvin in der Garage.“ Dann sausen sie los.

Der junge Mann, der freundlich aus seiner Infodose am Ausgang Columbiadamm grüßt, hat schon Schnupfen, trotz Mütze und Funktionsunterwäsche. Sein Stand sei ungeheizt, sagt Boris Schröder, der als Studentenjob für die landeseigene Betreiberfirma Grün Berlin im Besucherdienst arbeitet. An schwachen Tagen wie diesem habe er 200 bis 300 Gäste und viel Zeit zum Lesen, denn die meisten wollten nur ein Faltblatt mitnehmen oder den Weg zur Toilette wissen.

Schröder kann die Besucher sogar mit arabischen und rumänischen Flyern beeindrucken. Außerdem notiert er die Beschwerden von Ausflüglern, die auf der Suche nach einem Eingang vor der Haupthalle gestrandet sind. Und schließlich kommt oft ein Läufer vorbei, der ihn bittet, seine Rundenzeit zu stoppen. „Der schafft acht Kilometer in 35 Minuten“, sagt Schröder. Er kann den Schlechtwettertagen noch einen Vorteil abgewinnen: An solchen Tagen kommen nur ganz wenige von denen, die sich bei ihm an der Luke einfach mal über die beknackte Flughafenschließung von Klaus Wowereits Kommunistensenat oder über die noch vagen Bebauungspläne beschweren wollen. Und wenn jemand komme, dann höre er sich das halt an. „Ich kann ja schlecht behaupten, ich hab’ was anderes zu tun.“

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