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Andrej Holm ist nach unkorrekten Angaben zu seiner Stasi-Vergangenheit auch in der Koalition umstritten.

© dpa/ Rainer Jensen

Stasi-Debatte um Staatssekretär Andrej Holm: "Berlin braucht diese schmerzhafte Debatte"

Hat Andrej Holm wirklich gelogen? Und wie soll man seine Biografie bewerten? Der Streit um den Staatssekretär ist wichtig. Ein Gastbeitrag der Linken-Fraktionschefin.

Gleich zu Beginn: Ich finde es gut, dass die Debatte über den Umgang mit DDR-Unrecht auch noch 27 Jahre nach dem Fall der Mauer geführt wird. Aber so, wie es läuft, wird diese Debatte der Tragweite des Themas nicht gerecht. Diese Stadt braucht eine ernsthafte Auseinandersetzung über Biografien wie die von Andrej Holm. Der Anspruch muss sein, den Einzelfall mit all seinen Brüchen und Widersprüchen individuell und differenziert zu betrachten. Ich bitte darum, dass wir uns als Stadtgesellschaft gemeinsam die Zeit und den Raum nehmen, die Diskussion offen zu führen. Das heißt, den Fall in seiner ganzen Komplexität zu betrachten, alle Informationen einzuholen und erst danach zu bewerten.

Unsere Kriterien dabei sind inhaltliche: Was hat jemand in seiner Position bei der Staatssicherheit konkret getan? Hat er seine Tätigkeit offengelegt? Und vor allem: Hat er mit diesem Teil seiner Vergangenheit glaubhaft gebrochen? Glaubhaft meint: am Ende vieler Überlegungen und Auseinandersetzungen, im Ergebnis eines Prozesses also; nicht als wohlfeile Verlautbarung, weil es gerade nützlich ist.

Holm machte seine Tätigkeit bei der Stasi 2007 öffentlich

Andrej Holm war vom 1. September 1989 bis zum 31. Januar 1990 als Offiziersschüler bei der Stasi. Er war erleichtert, als die DDR zusammenbrach und das Ministerium für Staatssicherheit aufgelöst wurde. Nach der Wiedervereinigung brachte ihn sein politisches Engagement bei Mieterinitiativen Ende der 90er Jahre zur Mitarbeit bei der Zeitschrift „telegraph“. Diese war aus der Friedens- und Umweltbewegung der DDR-Opposition entstanden und aus den „Umweltblättern“ hervorgegangen.

Seine damaligen Kolleginnen und Kollegen schreiben jetzt in einem offenen Brief, dass er nie ein Geheimnis aus seiner Biografie gemacht habe: „Er redete mit jedem darüber, der es wissen wollte, wie es zu dieser Verfehlung kam und was er jetzt darüber denkt. Damit hat Andrej genau das getan, was weite Teile der ehemaligen DDR-Opposition immer gefordert haben. Er ist offen mit seiner Beteiligung am Repressions- und Überwachungsapparat der DDR umgegangen, er hat sich dieser Vergangenheit gestellt und persönlich Lehren aus ihr gezogen.“

2007 hat er selbst in einem Interview mit der „taz“ seine Tätigkeit bei der Stasi öffentlich gemacht. Er habe zunächst eine Grundausbildung gemacht und sei dann zu einer Abteilung in der Berliner Bezirksverwaltung gekommen. Seine Tätigkeit habe sich vom reinen Wehrdienst aber dadurch unterschieden, „dass ich später für die Staatssicherheit arbeiten wollte“. Niemand hat ihn zu diesem öffentlichen Umgang mit der eigenen Vergangenheit gezwungen. Er strebte damals kein Amt an; er tat es von sich aus.

Holm ging seinen Weg schwierigen Weg freiwillig

Andrej Holm ist freiwillig den schwierigen Weg gegangen und hat seine Vergangenheit in Diskussionen mit DDR-Bürgerrechtlern aufgearbeitet. Er sagt, seine persönliche Schlussfolgerung aus seiner Biografie sei die Überzeugung, dass eine freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft allen anderen vorzuziehen ist. Dieses gelebte Leben mit seinen Brüchen, Fehlern und Korrekturen sollte in der Diskussion eine wichtige Rolle spielen. Stattdessen fällen viele ein schnelles Urteil, das sich allein an Kreuzen auf einem Personalbogen festmacht. Woher kommt die Sicherheit in vielen Bewertungen, er habe hier gelogen? Entspricht das wirklich seinem persönlichen Umgang mit der eigenen Geschichte?

Ich möchte in einer Stadt leben, in der wertgeschätzt wird, wenn jemand den Mut hat, offen und reflektiert mit der eigenen Biografie umzugehen. In der man nicht Angst haben muss, Fehler einzugestehen, sondern aus Fehlern lernen kann.

Wir können und wollen dieser Debatte nicht ausweichen, auch wenn sie als belastend für die Koalition wahrgenommen wird. Denn wir leben in einer Stadt, die davon geprägt ist, jahrzehntelang geteilt gewesen zu sein. Entsprechend erleben wir in der aktuellen Debatte eine starke Polarisierung der Meinungen. Aber wie soll Berlin vorankommen, wenn wir jetzt nicht darüber reden, sondern mit einem schnellen Urteil einen Schlussstrich ziehen? Wir sollten die Diskussion gemeinsam aushalten, auch wenn das ein schmerzhafter Prozess ist. Uns die Möglichkeit dieser Debatte nicht zuzugestehen, macht uns alle nur verletzlicher.

Carola Bluhm

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