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Berlin: Stasi: "Vertreter der DDR bei den Grünen"

Für Michael Cramer ist die jüngste Stasi-Enthüllung des "Spiegel" keine große Überraschung. Was das Magazin in seiner heutigen Ausgabe behauptet, hatte sich der grüne Verkehrspolitiker schon länger gedacht: Der Berliner Molekularbiologe Ernst-Randolf Lochmann soll jahrelang mit der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet und unter dem Decknamen "Dr.

Für Michael Cramer ist die jüngste Stasi-Enthüllung des "Spiegel" keine große Überraschung. Was das Magazin in seiner heutigen Ausgabe behauptet, hatte sich der grüne Verkehrspolitiker schon länger gedacht: Der Berliner Molekularbiologe Ernst-Randolf Lochmann soll jahrelang mit der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet und unter dem Decknamen "Dr. Zeitz" Informationen nach Ost-Berlin geliefert haben. Er war 15 Jahre lang Mitglied der später in den Grünen aufgegangenen Alternativen Liste (AL) und ist heute Pensionär in Zehlendorf. Offiziell haben die Behörden die Identität von "Zeitz" zwar bisher nicht bestätigt. Politisch hält Cramer den Vorwurf jedoch für nachvollziehbar: "Es würde mich wegen seiner politischen Positionen nicht wundern, wenn Randolf Lochmann für die Stasi gearbeitet hat", sagt Cramer dem Tagesspiegel.

Lochmann hingegen hält die Anschuldigung für "völligen Quatsch". Der 69-Jährige will vom "Spiegel" eine Gegendarstellung verlangen. "Informationen über die Grünen waren für jedermann öffentlich", sagt er. "Da brauchte man keinen Informanten." Er könne sich nur vorstellen, dass er bei privaten Besuchen in der DDR "abgeschöpft" wurde. Lochmann kam in den 50er Jahren aus der DDR nach West-Berlin. Er stammt aus dem Ort Zeitz (heute Sachsen-Anhalt). Ende der 60er Jahre sei er von angeblichen Mitarbeitern des DDR-Kulturbundes in Gespräche über Hochschulfragen verwickelt worden. "Vielleicht wurde damals eine Akte angelegt, in der später Informationen gesammelt wurden, über die ich mich in privaten Gesprächen unterhalten habe."

Michael Cramer hält Lochmanns Erklärung für wenig überzeugend. Der inzwischen emeritierte FU-Professor habe stets dieselbe Position vertreten wie der später als Stasi-Spion enttarnte AL-Politiker Dirk Schneider. Der hatte den DDR-Geheimdienst von 1975 bis 1989 mit parteiinternen Informationen versorgt. "Zwischen die politischen Positionen von Schneider und Lochmann passte damals kein Löschblatt", erinnert sich Cramer. "Sie waren die Vertreter der DDR bei den Grünen." Das wiederum hält Lochmann für "ein bisschen übertrieben". Er hätte lediglich "gehofft, dass aus der DDR mal ein sozialistischer Staat wird."

Das besondere Interesse der Stasi an der Alternativen Liste diente Cramer zufolge zwei Zielen: Einerseits die Partei deutschlandpolitisch auf DDR-Kurs zu bringen, andererseits die Kontakte zu DDR-Bürgerrechtsgruppen zu erschweren und zu diskreditieren. Beides mit Erfolg: "Bis 1985 gab es bei uns einen Konsens, weder Moskau noch Washington gegenüber loyal zu sein", sagt Cramer. "Dann kippte diese Position - auch durch den Einfluss der Stasi." Und wenn grüne Bürgerrechtler heimlich Umwelt-Gruppen im Ostteil der Stadt besuchen wollten, gab es plötzlich ein Einreiseverbot. "Da war ein direkter Draht zur Stasi zu spüren", sagt Cramer. Wie viele Spitzel die Stasi bei der AL platziert hatte, darüber kann Cramer bis heute nur spekulieren. "Ich habe eine Liste mit zehn Personen angelegt, bei denen es mich nicht wundern würde, wenn eine Stasi-Mitarbeit herauskommen würde", sagt er. "Randolf Lochmann ist einer davon."

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