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Berlin: Statistik ist nicht alles

Im Viertel Reinickendorfer Straße geht es zunächst um kleine Veränderungen

Can ist klein, aber fein. Findet sein Freund Enes. Can und Enes und ein paar Dutzend andere Weddinger Jugendliche haben übereinander geschrieben und sich fotografiert. Ein Fotograf hatte die Idee dazu, das Quartiersmanagement Reinickendorfer Straße/Pankstraße das Geld. „Wir wollten dem Thema Streit, das uns hier oft beschäftigt, etwas entgegensetzen“, sagt Susanne Walz, eine der drei Quartiersmanager, und klemmt sich eine blonde Locke hinters Ohr. Herausgekommen ist die Ausstellung „Freundschaft im Kiez“ und reger Besuch vor den Fenstern des Quartiersbüros in der Prinz-Eugen- Straße. „Wo hängt mein Foto“, fragen Achtjährige, „guck mal, da bin ich“, sagt ein 13-jähriges Mädchen. Zur Vernissage kamen Schüler, Eltern und Lehrer, die sich sonst nicht unbedingt etwas zu sagen haben. Für Susanne Walz und ihren Kollegen Christian Luchmann ist das Projekt gelungen: Es bringt Menschen zusammen, die sonst nicht zusammenkommen, und es lockt sie ins Quartiersbüro, wo man sie vielleicht auch für anderes begeistern kann.

Das QM-Gebiet Reinickendorfer Straße/Pankstraße sieht aus wie eine aus der Form gelaufene Krone mit Zacken im Westen bei der Erika-Mann-Grundschule in der Utrechter Straße, im Norden beim Nauener Platz, im Osten beim Humboldthain und im Süden beim Nettelbeckplatz. Das Gebiet wird zerschnitten durch große Straßen und die S-Bahn-Trasse. Rund 15 000 Menschen wohnen hier, 41 Prozent haben keinen deutschen Pass, schätzungsweise noch mal so viele haben einen deutschen Pass, kommen aber aus Einwandererfamilien. Jeder Vierte ist arbeitslos. Studenten verirrten sich selten so weit in den Norden der Stadt, solange es billige Zimmer auch in Mitte oder Kreuzberg gibt, heißt es in der Sozialverwaltung. Und wer hier noch wohnt und es sich leisten kann, zieht weg. Das ist schon lange so. Die Quartiersmanager, die seit 2002 aktiv sind, konnten daran bisher nicht viel ändern. Zumindest laut Sozialatlas. Dort landete das Gebiet auf dem vorletzten Platz.

„Was wir hier tun, schlägt sich nicht in den großen Statistiken nieder“, sagt Susanne Walz. Dann tippt sie mit ihrem Finger auf der QM-Karte auf die Theodor- Plievier-Hauptschule. Mit Hilfe der Quartiersmanager wurde eine Jobleitstelle eingerichtet, nachdem über Jahre kein einziger Jugendlicher in eine Ausbildung vermittelt werden konnte. Jetzt kümmert sich ein externer Trainer um die 20 besten Schüler eines Jahrgangs, schreibt mit ihnen Bewerbungen, begleitet sie zum Arbeitsamt und spricht mit den Eltern. Vergangenes Schuljahr bekamen elf der 20 einen Ausbildungsplatz. Dadurch sinke die Jugendarbeitlosigkeit im Kiez, sagt Walz, aber nicht so stark, dass es Erhebungen für den Sozialatlas beeinflusse. „Wir Quartiersmanager können kein Gewerbe ansiedeln“, sagt Walz. Der Versuch, Ausbildungsplätze für Jugendlichen direkt im Kiez zu schaffen, scheiterte. Die kleinen, oft türkischen Friseure, Restaurants und Blumenläden um die Ecke arbeiten amRande des Existenzminimums und haben kein Geld für Ausbildung übrig.

Dass sich die Nachbarn durch die Kiezläufer sicherer fühlen und der eine oder andere nun doch hier bleibt und nicht wegzieht, dass die Umgebung durch Putzaktionen sauberer geworden ist oder dass die Kiezarbeiter es geschafft haben, Eltern von auffälligen Kindern zur Zusammenarbeit mit ihnen und den Lehrern zu bringen, das sind kleine Veränderungen, die ebenfalls nicht in den Statistiken auftauchen. Gleichwohl hätten solche Aktionen dazu beigetragen, dass sich der Kiez stabilisiert habe, sagt Walz. „Aber dann kommt der Sozialatlas heraus, wir landen wieder hinten, und die Stimmung ist wieder unten.“ clk

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