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Berlin: Steffen Sommerfeld (Geb. 1973)

Zwar war er ein Hitzkopf, aber einer, der das Leben liebte

So dramatisch Steffen gegangen ist, so dramatisch war seine Ankunft. Nur mit künstlicher Beatmung konnte er dazu bewegt werden, zu bleiben. Doch schon zehn Tage später holten die Eltern ein wonniges Baby von der Intensivstation, das sie bald mit zwei Löffeln nicht schnell genug füttern konnten. Bei diesem Appetit, dieser Lebenslust blieb es.

Das ist der Trost jetzt: dass Steffen nichts im Irgendwann-vielleicht-mal beließ, dass er gelebt hat. Ein Hitzkopf war er, unvergessen die Szene, in der er als Sechsjähriger das Mensch-ärgere-Dich- nicht-Spielbrett mitten entzweiriss.

Seine Noten waren überdurchschnittlich, er hätte gerne Abitur gemacht. Doch die Zulassungsplätze waren rar, die Eltern nicht in der Partei. Als im Frühjahr ’89 der Ausreiseantrag der Familie bewilligt wurde, hatte Steffen die zehnte Klasse bereits abgeschlossen.

Sie zogen von Erfurt nach West-Berlin. Steffen, den in diesen Jahren eine rote Lockenmähne schmückte, machte eine Lehre zum Anlagenbauer und auf der Abendschule die Techniker- und die Betriebswirtsprüfung.

Fortan überwachte er auf Berliner Baustellen die Umstellung auf Fernwärme. Bei den Arbeitern genoss er, der jeden ihrer Handgriffe selbst einmal ausgeführt hatte, Respekt. Manchmal dachte er darüber nach, noch weiter aufzusteigen in der Hierarchie der Firma. Möglichkeiten dazu gab es.

Doch kam er immer wieder zu dem Schluss, dass Karriere ihn nur interessierte, solange diese ihm seine Motorräder finanzierte. Am liebsten war er in nördlichen Gefilden unterwegs. Draußen sein, jeden Abend woanders übernachten, mit guten Freunden unterm Sternenhimmel sitzen, vor sich ein Glas guten Whiskeys, so gefiel ihm das Leben.

Vielleicht brauchte er das Unterwegssein auch, um immer wieder zurückkommen zu können. Dann war er der denkbar Häuslichste, der seine Freunde oft und üppig bekochte, der Stunden mit einem Buch in der Badewanne lag, anderen bei ihren Umzügen half.

Nie wäre er weggezogen aus Berlin, wo seine Eltern, seine Schwester und Britta lebten. Britta, die zwei Kinder mitbrachte, setzte sich ohne Angst zu ihm auf das Motorrad. Zwar war er ein Hitzkopf, aber einer, der das Leben liebte. Er fuhr sicher und ruhig, immer mit Helm und Schutzkleidung.

Seine Lockenmähne war gefallen, die Haare begannen licht zu werden; alt war er noch lange nicht. Eines der letzten Fotos zeigt einen Mann, in dem man auch einen irischen Holzarbeiter vermuten könnte. Vor ihm steht ein riesiger Eisbecher mit Kirschen und Sahne, er lächelt über das ganze Gesicht.

Das waren seine Pläne für 2014: Er wollte seine Stimme in den Dienst des Betriebsrates stellen, an die Seite derer, die die Arbeit von unten kennen. Er wollte mit Britta zusammenziehen. Er wollte eine Reise nach Island unternehmen.

Beim Frühstück am ersten Adventssonntag wirkte Steffen zufrieden und unternehmungslustig. Anschließend holte er das neue Motorrad für die geplante Islandreise ab und unternahm eine erste Probefahrt. Das Motorrad war in Ordnung. Er fuhr nicht zu schnell, es gab keine Verkehrsprobleme. Vielleicht war es ein Blackout, vielleicht eine unerkannte Krankheit. Vor dem Baum wurden keine Bremsspuren gefunden.

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