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© Repro: W. Holtz

Steglitz: Vergessene Bilderfabrik

Die weltweit größte Postkartenfirma hatte ihren Sitz in Steglitz. Eine Ausstellung zur Photographischen Gesellschaft.

Alles klappte schon fast so schnell wie heute im Zeitalter der digitalen Kameras. Die Fotografen hatten sich an den gemieteten Fensterplätzen am Pariser Platz in Position gebracht. Nun warteten sie auf die Hochzeitskutsche. Am Brandenburger Tor drängelten sich die Berliner, um die Durchfahrt des Brautpaares ganz nah zu erleben: Am 3. Juni 1905 heiratete Kronprinz Wilhelm Prinzessin Cecilie von Mecklenburg-Strelitz. Ein Festtag für die Reichshauptstadt. Radkuriere brachten die belichteten Motive zur Neuen Photographischen Gesellschaft, kurz NPG, in Steglitz. Dort druckte man davon im Handumdrehen Postkarten – und schon zwei Stunden später verkauften fliegende Händler tausende der Hochzeitsbilder auf Berlins Straßen.

Es war eine Meisterleistung der „NPG“, des damals weltweit führenden Unternehmens für Produkte rund um die Fotografie – von Kunstreproduktionen über Scherz- und Festtagskarten oder Starporträts bis zur Stereoskopie und der Ablichtung Berlins fürs Postkartensortiment. Umso mehr verwundert es, dass diese einst große Bilderfirma mit mehr als 1700 Mitarbeitern heute in Vergessenheit geraten ist. Eine reich illustrierte Ausstellung im Gutshaus Steglitz neben dem Schlossparktheater an der Schlossstraße bringt das Berliner Unternehmen nun aber wieder eindrucksvoll in Erinnerung. Es ist ein Ausflugstipp für die ganze Familie, zumal über 50 dreidimensionale historische Abbildungen im Stereoskop-Apparat auch Kinder fesseln.

Der Steglitzer Stadthistoriker Wolfgang Holtz und seine Frau Wilma Gütgemann-Holtz haben die Schau aus ihrem Fundus mit NPG-Schätzen zusammengestellt. Zehn Jahre lang sammelten sie dafür tausende fotografische Produkte, die von 1897 bis 1921 auf dem Firmengelände an der Ecke Birkbusch-/ Siemens- und Nicolaistraße hergestellt wurden.

Egal ob Kaiserhaus, Militär, Mode, Frauen, Schauspiel, Spektakel, Werbung oder Erotik – die von dem Berliner Arthur Schwarz gegründete NPG war mit der Kamera immer dabei und brachte alle Ereignisse schwarz auf weiß oder coloriert unter die Leute. Arthur Schwarz, der mit Ehefrau und sechs Kindern in einer Prachtvilla an der Boothstraße 20 in Lichterfelde-Ost lebte, hatte ein gutes Gespür für künstlerische und technische Trends. So sind viele Karten kleine Schmuckstücke des Jugendstils. Erotisch gingen seine Grafiker so weit, wie es die Kaiserzeit erlaubte. Die Gemäldereproduktionen ermöglichten es erstmals dem kleinen Mann, ein Kunstwerk für wenig Geld mit nach Hause zu nehmen – und fotografisch war alles schon von hoher Qualität.

Dennoch beging die Firma einen folgenschweren Fehler. Sie setzte nach 1910 zu wenig auf die junge Farbfotografie. Konkurrenten zogen an der NPG vorbei, der Erste Weltkrieg drückte den Absatz. Das Steglitzer Unternehmen wurde 1921 verkauft, sein Name verschwand.

Bis 22. November täglich (außer Mo) 14–19 Uhr. Führung sonntags 17 Uhr. 

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