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Berlin: Stets zu Diensten

Einige Berliner Kliniken haben Spezialstationen für Schlaganfallpatienten –so genannte „Stroke Units“. Sie müssen 24 Stunden bereit sein. Inzwischen werden dort vier von zehn Betroffenen behandelt

Ein Anruf, Blitzeinsatz für die Feuerwehr. Ein Mann um die 70 mit Sprachschwierigkeiten und einem Lähmungsgefühl im Arm – vieles deutet auf einen Schlaganfall hin. Wohin mit ihm?

Das Rettungsgesetz schreibt in allen Bundesländern vor, dass der Patient in das nächstgelegene, geeignete Krankenhaus gebracht werden muss. Dabei richtet sich die Auswahl der Klinik nach dem Zustand des Patienten und der Versorgungssituation. Nächstgelegen und geeignet allerdings sind weit dehnbare Begriffe. Die Berliner Feuerwehr lässt daher ihr Personal an der Charité im Umgang mit neurologischen Notfällen schulen. Der klassische Schlaganfall-Patient aber soll in einem Krankenhaus versorgt werden, das auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisiert ist. So jedenfalls wünschen es sich die Deutsche Schlaganfallgesellschaft (DSG) und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.

Diese Fachabteilungen heißen oft Schlaganfall-Einheiten oder Stroke Units, was aber noch bedeutet, dass hinter den Begriffen ein einheitliches Behandlungs- und Versorgungskonzept steht. Die DSG und die Stiftung Deutsche Schlaganfall- Hilfe haben deshalb zur Sicherung der Behandlungsqualität ein Zertifizierungsverfahren entwickelt – eine Art TÜV. Demnach erfolgen in den Stroke Units die Gesamtdiagnostik, Therapie, Aufklärung und Früh-Rehabilitation. Und zwar nach den Vorschlägen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, die sich wiederum an den Empfehlungen der „European Stroke Initiative“ (EUSI) orientieren. Seit 1996 gibt es in Deutschland solche Stroke Units. Derzeit sind bundesweit 155 zertifiziert, in Berlin sind es fünf, die das Siegel der DSG und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe haben. „Zudem gibt es noch ein paar andere Kliniken in Berlin, wo Schlaganfall-Patienten kompetent versorgt werden“, sagt Matthias Endres, Leiter des Zentrums für Schlaganfall-Forschung Berlin.

Es sei erwiesen, dass die Behandlung in Stroke Units die Sterblichkeit von Schlaganfall-Patienten deutlich senke, sagt Martin Grond, Vorsitzender der DSG. Zudem lasse sich das Ausmaß der Behinderungen, die in Folge eines Schlaganfalles häufig zurückbleiben „um 20 bis 30 Prozent“ verringern. Die Abteilungen müssen, um das Zertifikat zu erhalten, festgelegte Struktur- und Prozesskriterien erfüllen.

So ist wichtig, dass sie grundsätzlich bildgebende Verfahren wie Computer- oder Kerspintomografen einsetzen, um Schlaganfälle schnell und eindeutig diagnostizieren und deren Verläufe beobachten zu können. Dies muss rund um die Uhr möglich sein, ebenso eine Überwachung von EKG, Blutdruck und Sauerstoffversorgung mit Alarmfunktion – um rasch auf Abweichungen reagieren zu können. Und, auch das ist vorgeschrieben: Das Behandlungsteam muss spezialisierte Ärzte und Pflegekräfte und überdies Physiotherapeuten, Logopäden, Neuropsychologen und Sozialarbeiter umfassen.

Der von der DSG angestrebte Idealfall einer Akut-Behandlung sieht in etwa so aus: Ein Neurologe und ein Internist untersuchen den Patienten unmittelbar nach dessen Einlieferung, nehmen Blut ab und veranlassen ein EKG. Die Ursache eines Schlaganfalls lässt sich mit Hilfe von Aufnahmen eines Computertomogrammes oder einer Kernspinuntersuchung des Kopfes ermitteln. Bestehen die Symptome weniger als drei Stunden, müssen diese Untersuchungen besonders schnell, das heißt innerhalb von 30 Minuten nach der Aufnahme, gemacht werden. Denn jede Minute zählt, um Hirnschäden und möglicherweise daraus resultierende Behinderungen vermeiden zu können.

Dann fällt die Entscheidung, welche Therapie die richtige ist. „Die Zeit von der Kliniktür bis zur Therapieentscheidung sollte bei Patienten mit frischen Schlaganfällen nie über 60 Minuten liegen“, sagt Hans-Christian Koennecke, Chefarzt der Neurologischen Abteilung im Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Lichtenberg.

In den 48 Stunden nach dem Anfall finden weitere Untersuchungen statt: Eine Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Gefäße – manchmal auch eine Röntgendarstellung – zum Beispiel kann Verengungen oder Verkalkungen sichtbar machen. Eine Ultraschalluntersuchung des Herzens klärt, ob eventuell Blutgerinnsel im Herzen die Ursache für den Schlaganfall sind. Denn es kommt vor, dass diese ins Hirn gespült werden und dort ein Gefäß verstopfen. Ein Langzeit-EKG zeigt, ob anfallsartige Rhythmusstörungen vorliegen. Eine Langzeitblutdruckmessung klärt, ob der Patient Bluthochdruck hat. Ausführliche Blutuntersuchungen können Risikofaktoren wie Fettstoffwechselstörungen nachweisen.

Das, wie gesagt, ist das Ideal. Der Alltag aber ist nicht immer so übersichtlich. „Zum Beispiel kann es passieren, dass ein Patient eingeliefert wird, der morgens mit Symptomen wie einer Lähmung im Arm aufwacht“, sagt Koennecke. Das heißt, dieser Patient hat seinen Schlaganfall in der Nacht erlitten. Wenn er nicht zufällig wach war, weiß er nicht, wann das passiert ist – und die Ärzte wissen dann nicht, wann die Symptome begonnen haben, was von Vornherein bestimmte Therapien ausschließt.

Und, auch das ist ein Problem für die Spezialisten: Viele Menschen merken zunächst nicht, dass sie einen Schlaganfall haben. Sie suchen den Hausarzt auf, statt sofort die Feuerwehr zu alarmieren. Wertvolle Zeit verstreicht. Zumal, weil es vorkommt, dass ein Hausarzt eine andere Diagnose stellt. Die DSG arbeitet daher an einer Behandlungsleitlinie, die sowohl für Spezialisten als auch für Hausärzte und Patienten die Schlaganfallbehandlung formal und verständlich festlegt. Und auch was die Rehabilitation der Patienten angeht, sieht die Fachgesellschaft noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Marc Neller

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