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Berlin: Stets zu Diensten

Berlin ist Traditionsort und Experimentierfeld der Automatenwirtschaft

Peter Schulz findet, einmal Wiegen sollte einen Groschen kosten, auch wenn diese Beharrlichkeit seinen sicheren Ruin bedeutet. Früher waren es Reichsgroschen, dann kamen die Ostgroschen und Westgroschen, heute heißen sie Cent. Schulz, ein kleiner Mann mit Schnauzer, stellt sich auf seine Waage, füttert den Schlitz mit einer Münze, und der Zeiger schnellt auf die 70. 70 Kilo in voller Montur plus Werkzeugtasche. Der Wiegeautomatenunternehmer sollte dringend mehr essen.

Peter Schulz ist der Nostalgiker unter den Berliner Automatenaufstellern. 42 seiner Sielaff-Wiegeautomaten stehen noch auf den U-Bahnhöfen der Stadt – jedes Jahr ein paar weniger. Die Dreieinhalbzentnerkolosse wurden vor 80 Jahren gebaut und verrichten seitdem ihren Dienst. Schulz übernahm die Automaten in den 80er Jahren im Ostteil der Stadt und kann heute mit den kargen Einnahmen nur noch seine Rente aufbessern.

Berlin ist für die deutsche Automatenwirtschaft ein Traditionsort – hier wurde 1897 das erste Automatenrestaurant in Deutschland eröffnet –, aber auch ein wichtiges Experimentierfeld. Was hier funktioniert, kann später über die ganze Republik verbreitet werden. So testet die Agentur „Special Concepts Marketing“ seit anderthalb Jahren Würstchen- und Pommes-Automaten auf größeren S-Bahnhöfen. 26 Automaten stehen schon, insgesamt 200 sollen es werden. In den schwarz -silbernen Kästen, massiv wie Panzerschränke, verbirgt sich Technik aus der Weltraumforschung, sagt Agenturchef Stefan Taubitz. „Die tiefgekühlten Pommes sind vorfrittiert und werden in 45 Sekunden bei 246 Grad heißgebacken.“ Gewartet werden die Maschinen per Ferndiagnose über das Mobilfunknetz. Die Technik kommt aus den USA. Dort stehen die Automaten vor allem in Schulen und Krankenhäusern.

Relativ neu sind auch die Snackautomaten mit Literaturbeilage. Seit zwei Jahren können auf größeren Bahnhöfen, darunter Südkreuz, Zoologischer Garten und Potsdamer Platz, neben Schokoriegeln und Weingummi auch kleine Leseheftchen mit Kurzgeschichten gezogen werden. „Wir haben relativ viele Stammkunden“, sagt Frank Ackermann von der gleichnamigen Aufstellerfirma.

In Potsdam hat die Agentur „Kunsttick“ Kondomautomaten zu Kunstautomaten umgebaut. Für ein paar Euro können kleine Plastiken, Drucke oder Gedichte gezogen werden. Die Automaten werden äußerlich ihrer Umgebung angepasst. Das ist aber mehr Kunstaktion als Unternehmenskonzept.

Der typische Automatenaufsteller ist Familienunternehmer, hat fünf bis 20 Mitarbeiter und bedient einige hundert Automaten in der Stadt. „500 bis 900 Euro Umsatz muss ein Gerät im Monat bringen“, sagt Frank Ackermann, ob er Snacks im Angebot hat, heiße Getränke oder gleich beides. In den vergangenen Jahren seien die Umsätze rückläufig gewesen, erst jetzt habe sich der Absatz stabilisiert.

Die größten Probleme der Automatenaufsteller sind Vandalismus und Diebstahl. Um das „Knacken“ zu verhindern, haben die meisten Geräte schusssichere Scheiben und gepanzerte Hüllen. „Die Sicherungen machen 30 Prozent der Gerätekosten aus“, erzählt Ackermann. Wegen des Sittenverfalls im öffentlichen Raum gebe es in Deutschland auch keine Zeitungsautomaten. „In den USA nimmt sich jeder Kunde eine Zeitung aus dem Automaten – hier würden viele gleich zehn herausnehmen und weiterverkaufen.“

Beim Zigarettenautomatenaufsteller Tobaccoland, dem Branchenführer in Berlin, nimmt die Stadt bei den Vandalismusschäden den traurigen Spitzenplatz ein. „Wir haben 100 Totalverluste von Automaten im Jahr“, sagt Geschäftsleiter Wolfram Huber. Bei 8200 Automaten in Berlin und Brandenburg summiert sich der Schaden jährlich auf eine halbe Million Euro. Wegen der aktuellen Umrüstung auf den Kartenbetrieb hat Tobaccoland fast 3000 Automatenstandorte aufgegeben – an diesen Plätzen hätte sich die Investition wegen schwacher Umsätze nicht gelohnt.

Die Betreiber von Unterhaltungs- und Glücksspielautomaten klagen über ganz andere Probleme. Die klassische Eckkneipe mit dunklen Zockernischen und Nebengelassen für Dart und Billard wird zunehmend von Szene-Restaurants und In-Cafés verdrängt. In denen aber sind Automatenspiele verpönt. „Seit 1997 haben wir 30 Prozent unserer Aufstellplätze verloren“, sagt Horst Bauriedel, Geschäftsführer von „Kleeblatt-Automaten“. Gegen die sinkenden Umsätze helfen nur neue Geräte mit Videountermalung und besseren Gewinnchancen – und die boomenden Sportwetten, die auch am Automaten abgewickelt werden können.

Die digitale Revolution in der Automatenbranche betrachtet Aufsteller Peter Schulz nur aus der Distanz. Für einmal Wiegen mit Body-Maß-Index und Kalorienbedarfanzeige einen Euro auszugeben, findet er völlig übertrieben. Schulz ist jetzt 69 und nähert sich damit dem Alter seines Betriebsmobiliars. Wenn er eines Tages nicht mehr weitermachen kann, will er seine Automaten „an een Türken verkoofen. Die machen sowas noch“.

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