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Berlin: Steuer-Mann für die große Koalition

Jörg-Otto Spiller (SPD) mischt mit in den Verhandlungen um die Finanzen

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

In diesen Tagen sind Leute gefragt, die etwas von Geld verstehen. Dazu gehört Jörg-Otto Spiller, aufgewachsen im Wedding, ein Sozialdemokrat von Herzen – und Ritter der französischen Ehrenlegion. Jetzt hockt er mit Peer Steinbrück, Roland Koch und ein paar anderen Experten zusammen, um für die große Koalition im Bund ein solides finanzpolitisches Fundament zu gießen. Spiller gehört zu den wenigen Berliner SPD-Politikern, die im neuen Machtgefüge der Republik eine wichtige Rolle spielen.

Man merkt es ihm nicht an. So einer füllt keine Säle und bringt die Massen nicht in Aufruhr. „Das ist nicht mein Naturell“, sagt Spiller. Als er 1994 frisch in den Bundestag kam, sollte ein Ostdeutscher Vize-Obmann der SPD im Finanzausschuss werden. Die Wahl fiel auf den West-Berliner. Der fand das witzig. Und als der Kollege Joachim Poß fünf Jahre später stellvertretender Fraktionschef der SPD wurde, rückte Spiller als finanzpolitischer Sprecher auf. Das wird er wohl auch in der neuen Wahlperiode bleiben. Mit dem Makel, selten in der Zeitung zu stehen, kann er wunderbar leben. Allerdings hat Spiller vor ein paar Tagen mit der Idee, den Solidarzuschlag zu erhöhen, bundesweit auf sich aufmerksam gemacht. Stattdessen wird, so sieht es nun aus, die Mehrwertsteuer angehoben.

Der 63-Jährige macht den Eindruck, als käme er geradewegs aus der volkswirtschaftlichen Abteilung der Berliner Bank. Da hat er lange gearbeitet, aber das ist 20 Jahre her. Für den Generationswechsel in der SPD steht Spiller nicht, und hätte die Bundestagswahl planmäßig 2006 stattgefunden, hätte er sich aus der Politik verabschiedet. Mit dem SPD-Kreischef in Mitte war das schon verabredet. Doch es kam anders, Spiller trat noch mal an und gewann den Wahlkreis mit fast 19 Prozent Vorsprung vor dem CDU-Konkurrenten.

Dabei wollte Spiller gar nicht Profi-Politiker werden. Auch nicht Volkswirt, sondern Journalist. „Seit ich zehn Jahre alt war, habe ich Zeitung gelesen.“ Politologie und Geschichte hat er studiert, in den 60er Jahren, natürlich am Otto-Suhr-Institut der FU. Im Institutsrat hat er sich engagiert, in der Gruppe der Reformsozialisten, zusammen mit Gesine Schwan und Klaus Böger. Journalist ist Spiller nach dem Studium doch nicht geworden. „Ich bin beim Schreiben einfach zu langsam.“

Stattdessen landete er im Bankgeschäft und wurde 1981, quasi ehrenamtlich, Mitglied des Abgeordnetenhauses. Vier Jahre später suchten die Genossen in Wedding einen Volksbildungsstadtrat. Spiller sperrte sich, ohne Erfolg. „Es war das erste Mal, dass ich von einem politischen Wahlamt materiell abhängig wurde.“ 1986 starb Bezirksbürgermeisterin Erika Heß. Spiller übernahm das Amt. Den unfreiwilligen Einstieg in die Kommunalpolitik hat er nie bereut. „Man kriegt das ganze Spektrum des Lebens mit.“ Eine der angenehmsten Seiten sei der Kontakt zur französischen Besatzungsmacht gewesen. Spiller hat sein Abitur auf dem französischen Gymnasium gemacht, ein Jahr in Paris studiert. „Die Neigung zu Frankreich ist geblieben.“ Die Grande Nation hat ihn mit dem Titel „Chevalier de la Légion d’Honneur“ ausgezeichnet.

Was macht einen Finanzpolitiker zum Sozialdemokraten? Das Parteibuch hat Spiller seit 41 Jahren. Willy Brandt hat ihn begeistert. Der Kiez rund um den Gesundbrunnen hat ihn geprägt. „Ich wollte mich in einer Partei engagieren, der nicht egal ist, wie die Lebenschancen der Menschen verteilt sind. Unabhängig von der Sorgfalt, mit der sich ein Kind seine Eltern aussucht.“ Diese Sicht hat ihn nicht zum Idelogen gemacht, sondern zum Pragmatiker.

Ein Mann aus Berlin, der sich darüber freut, dass die meisten Parlamentskollegen seine Stadt inzwischen mögen. Viele blieben an den Wochenenden in Berlin, ließen sich von ihren Familien besuchen. „Das gab es in Bonn nicht.“ Nur eines fällt Spiller seit Jahren unangenehm auf: Wenn der Bundestag über die großen, wichtigen Themen debattiere, sei auch die Bundesratsbank immer hochrangig besetzt. „Nur vom Berliner Senat ist meistens keiner da, aber die kommen ja auch von so weit her.“

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