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Berlin: Stille Stars unter Glitzer-Größen

Was sind wir doch für eine komische Gesellschaft. Da tigert in der "Mediennacht des Sports" im Grand Hyatt, der ersten in Berlin, ein Schlagersänger, dessen letzter großer Hit nun auch schon wieder ein paar Jährchen zurück liegt, mit seiner weiß gewandeten neuen Freundin zwischen den Büffets einher, und die Kameras blinken wie eine ganze Herde von Tatütata-Autos.

Was sind wir doch für eine komische Gesellschaft. Da tigert in der "Mediennacht des Sports" im Grand Hyatt, der ersten in Berlin, ein Schlagersänger, dessen letzter großer Hit nun auch schon wieder ein paar Jährchen zurück liegt, mit seiner weiß gewandeten neuen Freundin zwischen den Büffets einher, und die Kameras blinken wie eine ganze Herde von Tatütata-Autos. Daneben bleibt völlig unbehelligt die äußerst stattliche Europameisterin im Schwimmen, die lauter vernünftige Sachen zu sagen hat über die Förderung der Jugend im Sport. Die Wege des Ruhms sind eben unergründlich.

Dabei ging es bei dem glitzrigen Fest genau darum, Förderer für die neue Initiative "Pro Jugend" zu finden. Dafür warb der Präsident des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, der die sozialen Varianten des Sports ausbauen will. Diesen Zweck fand Sportsenatorin Ingrid Stahmer so gut, dass sie dafür auf ein Konzert von Jeunesses Musicales in der Philharmonie verzichtete. Die Politikerin mit dem großen sozialen Herzen ist überzeugt davon, dass solche Angebote vielen Jugendlichen neue Perspektiven eröffnen können, zumal sie auch Randgruppen einschließen.

Während sich die Kameras nun ganz verliebt um neue Showgrößen drängen, um Dagmar Frederic und Roland Kaiser zum Beispiel, begeben wir uns auf die Suche nach weiteren echten Sportlern. Man erkennt sie daran, dass sie nicht, wie der Großteil der Gäste, mit Anzug oder mindestens Jackett erschienen sind, sondern sportlich-elegant in Hemd und Pullover. Nehmen wir mal Stefan Ulm, der nach dem vielen Training "jetzt mal das Leben genießen" will. Seine Hoffnung: Dass auch die Sportarten bekannter und populärer werden, die derzeit noch ein bisschen im Schatten des Rampenlichts gefahren werden, Kanu fahren zum Beispiel, das ist sein Sport, für den er bereits zu DDR-Zeiten entdeckt wurde und für den er in Grünau trainiert.

Während die blinkenden Kameras auf der (vergeblichen) Suche nach Herthanern nunmehr bei Heinz Drache und nochmal der Freundin von Frank Schöbel landen, die Abschlussfrage an Stefan Ulm, ob er schon mal was gewonnen hat. Woraufhin er ganz lässig anmerkt, dass er gerade im Vierer-Kajak Weltmeister geworden ist. Wow! Aber schon zum vierten Mal, fügt er wie entlastend hinzu. Und er steht nicht mal auf der VIP-Liste. Dafür steht Gotthilf Fischer drauf, der einen eigenen Weltrekord plant, 48 Konzerte in 24 Stunden, und der Erlös soll auch dem guten Zweck des Abends zugute kommen. Ein junger Potsdamer, ehemaliger Deutscher Meister im Schwimmen, erinnert sich noch genau daran, wie man in der DDR entdeckt wurde. Die Trainer kamen in die Schule und fragten "Haste nicht Lust, macht Spaß". Über all den Sportgesprächen könnte man schnell zu dem Eindruck gelangen, wir befänden uns immer noch in der Phase des Zusammenwachsens von Ost und West, dabei sind wir schon mitten in der Hochphase der Hauptstadtwerdung angelangt. Gerade rechtzeitig erblicken wir den Neu-Berliner Regierungsdirektor Nehl im Getümmel mit einem Blick, der Wohlwollen wie Skepsis gerecht vereint. Was gehört denn für einen Ex-Bonner zu einer richtig gelungenen Party dazu? Kein Glamour-Star, kein stiller Weltmeister, nein, auf die Antwort hätte man fast selber kommen können: Ein Minister muss es sein. Oder doch mindestens ein Staatssekretär. Ansonsten heißt das erbarmungslose Urteil "Anschluss verpasst". Immerhin war Verteidigungsminister Scharping noch für Mitternacht avisiert. Zwar hat man ihn nicht live gesehen, aber darauf kommt es im Zeitalter virtueller VIP-Listen vielleicht auch nicht mehr an.

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