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Handeln, nicht reden. Evelyn Knappe kennt ihre Nordneuköllner, und die kennen sie.

© Mike olff

Stilles Örtchen als Ort der Großherzigkeit: Die gute Putzfee

Evelyn Knappe ist Toilettenfrau in Neukölln. Was die Reichen ihr geben, reicht sie an die Armen weiter - still, dezent, effektiv. Und die Kunden schätzen das.

Es ist ein Ort, an dem sich das Leben teilt. Oben wird das neue Madonna-Parfum auf einem Verkaufstisch präsentiert, der Flakon zu 45 Euro 95, unten liegen neben einer Sitzbank leere Wodka-Gorbatschow-Flaschen, etwa in der gleichen Größe. Es ist aber auch ein Ort, an dem man kinderleicht von einem Leben ins andere wechseln kann. Einfach die außen gelb gekachelte Treppe hochsteigen, einmal durch die Glastür hindurch, und man gelangt vom Elend des U-Bahnhofs Hermannplatz direkt in die Konsumwelt von Karstadt. Wohl nirgendwo sonst in Berlin sind Verwahrlosung und Wohlstand, Ober- und Unterwelt so direkt verbunden wie hier, und das liegt nicht nur an den Stufen, die vom Bahnhof direkt ins Kaufhaus führen, sondern auch an einer Frau.

Den Schwamm wischbereit in der Hand

Toilettenreinigungskraft ist ihr offizieller Titel, ausweisen kann sie sich durch den stets wischbereiten Schwamm in ihrer Hand, vor allem aber ist Evelyn Knappe, 58 Jahre alt, Mittlerin zwischen den Welten. Sie nimmt von oben und gibt nach unten, wie in einem kontinuierlichen Staffellauf, nur dass sie keinen Staffelstab, sondern all das weiterreicht, was über der Erde nicht mehr gut genug erscheint, unter der Erde aber dringend benötigt wird.

Der Kunde hat einen neuen Pulli gekauft, den alten gibt er der Frau

Neulich zum Beispiel ging ein Mann bei ihr auf die Toilette. Vielleicht hatte er gleich ein Vorstellungsgespräch, vielleicht ein Rendezvous, auf jeden Fall aber den dringenden Wunsch, gut auszusehen. Noch auf der Toilette zog er einen gerade im Kaufhaus erworbenen Pulli an. Den alten gab er Knappe. Vielleicht, sagte er, kenne sie ja jemanden, der ihn brauchen könne. Ein anderes Mal band sich eine Kundin vor dem Spiegel eine neue Uhr um und ließ dafür eine andere mit braunem Lederarmband bei Knappe zurück. Beides, Pulli und Uhr, hat die Toilettenfrau weitergegeben. Auf die Frage an wen, würde ein anderer von Schnorrern oder Pennern sprechen, nicht so Knappe.

Sie gibt es weiter, an ihre "Kids"

Sie redet von den „Kids“. Vielleicht weil ihr die Obdachlosen, die auf dem Hermannplatz und dem darunterliegenden U-Bahnhof um Almosen betteln, genauso hilfsbedürftig wie Kinder erscheinen, wenn sie zu ihr in die Oberwelt hinaufsteigen.

Dass sich das stille Örtchen zu einem Ort der Hilfsbereitschaft entwickelt hat, ist aber nicht nur Knappe und ihren Kolleginnen, sondern vor allem den Kaufhaus-Besuchern zu verdanken. Beschwerden gab es nie, ganz im Gegenteil: Das Engagement geht stets von den Kunden selber aus. Etwa einmal im Monat lässt einer von ihnen etwas zurück, mal ausdrücklich für Bedürftige gedacht, mal einfach so.

Wie der Mann, der ein schickes Hemd, noch eingepackt und mit Krawatte, umtauschen wollte, aber den Bon verloren hatte. „Haben Sie vielleicht einen Mann?“, fragte er. „Nicht mehr“, sagte Knappe, „aber ich finde schon einen“ – und nahm das Hemd. Nach einer Weile kam tatsächlich einer, zwar nicht zum Heiraten, aber zum Beschenken, so ärmlich, wie er aussah. Wiedergesehen rund um den Hermannplatz hat Knappe ihn nicht, ganz so als habe ihm das Hemd den Weg zurück in die Gesellschaft geebnet.

All das steht natürlich nicht in Evelyn Knappes Arbeitsplatzbeschreibung. Laut der soll sie das Folgende tun: Böden, Waschbecken und Spiegel wischen, Papier und Seife nachfüllen, Klodeckel hoch und Klobrille putzen, Klobrille hoch und darunter putzen. All das macht sie – und mehr. Warum sie sich neben der Notdurft der Menschen auch noch um deren Not kümmert, kann sie gar nicht beantworten. „Warum denn nicht?“, fragt sie zurück, als sei das Helfen grundsätzlich naheliegender als das Nichthelfen.

Sie war mal Erzieherin. Und bekommt jetzt 10-Cent-Stücke

Dabei hat Knappe selbst nicht viel. Seitdem ihre Sehkraft vor etwa zehn Jahren stark nachgelassen hat, bezieht sie eine kleine Rente. Als Toilettenfrau verdient sie sich etwas dazu, am Hermannplatz arbeitet sie seit vier Jahren.

„Mensch, Mutti, kannst du dir nicht einfach einen anderen Job suchen?“, haben ihre drei Kinder anfangs gesagt. Ein bisschen, sagt Knappe, hätten sie sich für sie geschämt. Das liegt vielleicht auch an den Geschichten, die Knappe von der Arbeit mit nach Hause bringt.

Ein Anwalt befasst sich mit Paragrafen und ein Friseur mit Haaren – Knappe aber hat es jeden Tag mit zwingend unappetitlicher Materie zu tun, nämlich anale Hinterlassenschaften, nicht immer richtig weggespült. Dabei hat sie sich eigentlich mal um das gekümmert, was den meisten Menschen am wertvollsten ist: Zu DDR-Zeiten war Knappe Erziehungshelferin und hat jahrelang Kinder im Hort betreut. Streng sei es da zugegangen, sagt sie. Jede Woche gab es einen Wissenstag, an dem die Kinder ein Quiz lösen mussten. Knappe mochte den Naturtag lieber, da sammelten sie statt richtiger Lösungen draußen die schönsten Blätter und Blumen.

Dass Evelyn Knappe lockerer als andere Erzieherinnen war, lag vielleicht auch daran, dass sie selbst nicht so gern gehorchte. So weigerte sie sich damals, in die SED einzutreten und sträubte sich dagegen, wählen zu gehen. „Das habe ich gar nicht eingesehen, solange die mir keine vernünftige Wohnung gegeben haben“, sagt sie. Zu DDR-Zeiten lebten die Knappes zu fünft in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Friedrichshain und luden trotzdem manchmal Hortkinder zu Kaffee und Kuchen nach Hause ein. Inzwischen wohnt Evelyn Knappe in Hellersdorf.

Zu Weihnachten bekommt sie selbstgehäkelte Taschentücher

Auch wenn sie nach der Arbeit meist sofort zurück nach Hause fährt, hat sie durch ihre Arbeit bei Karstadt den Bezirk Neukölln in seiner ganzen Vielfalt kennengelernt. Denn in dieses Kaufhaus kommen alle: alteingesessene Bewohner, die Knappe zu Weihnachten selbst gehäkelte Taschentücher mitbringen, Studenten, die den Bezirk für sich entdeckt haben, und eben die Obdachlosen. Einige von ihnen kennt Knappe inzwischen mit Namen, Renate ist die mit dem Schäferhund, Jasmin hat einen kleinen Mischling. Und auch für Hunde sorgt Evelyn Knappe gern. Im Vorraum der Toiletten steht eine Wasserschüssel auf dem Boden, die Knappe jeden Tag, den sie arbeitet, neu befüllt.

Selbst wenn ihr eigenes Tellerchen manchmal leer bleibt.

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