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Berlin: Stimmung in der Bevölkerung: Im Gleichgewicht

U-Bahnhof Wittenbergplatz, mittags, viel Betrieb. Kein Zug steht an den Bahnsteigen, es ist ruhig.

U-Bahnhof Wittenbergplatz, mittags, viel Betrieb. Kein Zug steht an den Bahnsteigen, es ist ruhig. Plötzlich ein paar laute Schläge, Rumpeln, viele Wartende drehen sich erschreckt. Ein Mann von der Stadtreinigung ist mit einer leeren Tonne die Treppe heruntergepoltert. Schon ein Zeichen dafür, dass labile Menschen, wie ein Psychologe meint, durch den amerikanischen Gegenschlag aus dem Gleichgewicht gebracht sind? Als der Mann mit der Tonne verschwunden ist, wirken alle wieder ziemlich entspannt. Ja, auch Psychologen haben es schwer, wenn die Presse zum Sinnstiften bittet.

Bahnhof Zoo, Vorhalle. Hier vor der Videobildwand liegt, glaubt man dem Eindruck aus zahllosen Pressefotos, das Zentrum der Betroffenheit und Anteilnahme. Ohne die fokussierende Perspektive eines Kameraobjektivs sieht die Sache ein wenig anders aus: Zwei Dutzend Menschen, überwiegend mit Koffern, stehen in lockeren Gruppen und verfolgen die Berichterstattung - so lange sie beim Thema bleibt. Verdrängt der bahneigene Reklame-Maulwurf das kryptische grüne Explosionsgefunkel und die Bilder bärtiger Taliban, wenden sie sich ab und gehen weiter. Wie voll wäre der Bahnhof gewesen, hätte es die Angriffe nicht gegeben?

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror 7.10., 18.45 Uhr: Wie der Gegenschlag begann Hintergrund: US-Streitkräfte und Verbündete Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Umfrage: Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt? Sollte gegenwärtig in der Bevölkerung generell Angst vor Menschenmengen und größeren Höhen bestehen, so ist auch sie schwer dingfest zu machen. Vor dem Fernsehturm, der ja als Ziel terroristischer Anschläge durchaus denkbar wäre, zieht sich die übliche Warteschlange die Treppen hinauf. Keine Angst dort oben? "Ach", sagt einer, "wir sind nun mal jetzt in Berlin. Sollen wir die Tage im Hotelkeller verbringen?" Keine andere Stimmung vor dem Reichstag, wo die beiden Schlangen - eine für die zufälligen, eine für die angemeldeten Besucher - sich so fröhlich ums Gebäude ringeln wie an jedem schönen Tag. Auch die millionenfach fotografierten Spiralgänge in der Kuppel sind gut besucht. Keine Angst dort droben? "Angst? Wir sind doch extra wegen dem Reichstag in die Stadt gekommen."

Im Adlon ist es ruhig. Vor der Tür die wenig kleidsame Dauerbaustelle, kein Pförtner, nicht einmal das Schild, das in Stoßzeiten Laufkundschaft vom Besichtigen abhalten soll. Drinnen entspannte Hotelhallenatmospäre, allenfalls etwas weniger Betrieb als sonst in der Berliner Hauptsaison. Ja, was auch sonst? US-Touristen beim patriotischen Fahnenschwenken? Generell sind wohl eher wenig US-Touristen in der Stadt, die wenigen sichtbaren Adlon-Gäste sehen in ihren grauen Anzügen und geschäftsmäßigen Kostümen eher wie Deutsche aus. Um die Ecke, vor der britischen Botschaft, stehen mehr Polizisten als sonst, und einige von ihnen sind martialischer bewaffnet, auf Dauerfeuer eingerichtet.

Im Haus der Stille, gleich unten hinter den Gerüsten und den Telekom-Planen am Brandenburger Tor, könnten sie sein, die labilen, aus dem Gleichgewicht gebrachten Menschen. Ein paar sind drin, eigentlich wie immer. Aber sind sie aus dem Gleichgewicht? Oder nur müde vom Laufen? Beim Nachdenken fällt auf, dass es ziemlich laut ist im Raum der Stille.

Alexanderplatz, 12 Uhr mittags. Die offizielle Politik lässt die demonstrierenden Schüler mit sich selbst allein, nur die PDS zeigt sich mit dem Gysimobil. Doch der, der draufsteht, ist nicht drin, diskutiert wird nicht. Stattdessen hantieren zwei Männer an einer Heliumflasche und verteilen Luftballons in zwei Ausfertigungen, blau mit Friedenstaube, rot mit PDS-Logo: Zeichen setzen! Die Schüler ziehen gerade ab, in Richtung der Botschaft des großkapitalistisch-globalisierungswütigen US-Präsidenten, lautes Trommeln begleitet ihren Weg. "Es ist genug, es reicht, wir wehren uns!" hat eine Rednerin - war es Xenia von der Max-Born-Schule? - gerade sehr laut und sehr entschlossen gesagt. Einige Demonstranten tragen eine Art Sarg mit einem weißen Tuch, auf dem "The Civilized World" steht; das World Trade Center scheint nicht gemeint zu sein. Zurück bleibt allerhand Abfall, zur Hälfte Flugblätter der "Sozialistischen Alternative", zur anderen Hälfte Restmüll aus der nahen Burger-King-Filiale. Was wäre, wenn der globale Imperialismus tatsächlich verschwände, mitsamt der Jeans, Handy-Netze und Doppelwhopper?

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