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Berlin: Stölzl entschuldigt sich

Ältestenrat erzwingt Rücknahme seiner Äußerungen zur Wahl / SPD, PDS und Grüne erwägen trotzdem Missbilligungsantrag

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der CDU-Landesvorsitzende Christoph Stölzl hat seinen Vergleich der Bundestagswahl 2002 mit der Lage in Deutschland bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges und nach dem Wahlerfolg der Nationalsozialisten 1932 zurückgenommen. Es sei nicht seine Absicht gewesen, „irgendwelche Vergleiche heutiger politischer Kräfte mit historischen Parteien nahe zu legen“, teilte er den Abgeordnetenhausfraktionen gestern in einer schriftlichen Erklärung mit. Er ziehe deshalb beide genannten geschichtlichen Daten – 1914 und 1931/32 – mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.

Den Abgeordnetenhausfraktionen von SPD, PDS und Grünen reicht Stölzls Entschuldigung nicht aus. „Sehr viele Abgeordnete sind empört über die Beschimpfung der Mehrheit der deutschen Wähler – als wenn diese nicht ganz bei Sinnen seien“, sagte SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. Deshalb soll der Vorgang in der Parlamentssitzung am Donnerstag zur Sprache gebracht und heute eine Resolution vorbereitet werden. Möglicherweise wird dem Parlaments-Vizepräsidenten Stölzl eine Missbilligung ausgesprochen. Seine Abwahl ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. „Aber wir haben nichts dagegen, wenn er von selbst zurücktritt“, so Stadtmüller. Viele Parlamentarier fühlten sich von Stölzl nicht mehr vertreten. Die PDS-Fraktion sieht das auch so.

Mit der Forderung nach einer Entschuldigung und Rücknahme seiner Äußerungen wurde der CDU-Politiker gestern im Ältestenrat des Abgeordnetenhauses konfrontiert. Stölzl verlas daraufhin eine persönliche Erklärung, die nach halbstündiger Diskussion als nicht ausreichend empfunden wurde. Nach Ansicht des stellvertretenden SPD-Fraktionschefs Gaebler habe der CDU-Landeschef nicht verstanden, „dass das Kernproblem in seiner historischen Deutung liegt.“ Es gehe nicht um ein Missverständnis, sondern um ein falsches Geschichtsverständnis. Stölzl ließ sich darauf ein, seine Erklärung nachzubessern.

Noch bevor er seine endgültige Stellungnahme abgab, sagte Stölzl dem Tagesspiegel:. „Ich sende nicht gern Ärgernisse in die Welt, und es war nie meine Absicht, einen Vergleich zwischen Rot-Grün und den Nazis zu ziehen.“ Er habe auch nicht als Vize-Parlamentspräsident, sondern „als Wahlkämpfer“ gesprochen. Ihm sei es nur darum gegangen, „das Schüren von Irrationalität als Tiefpunkt der politischen Vernunft zu kritisieren“. Das müsse erlaubt sein. Die Geschichte lehre: „Wenn Stimmungen hochkochen, läuten die Alarmglocken.“ Stölzl telefonierte gestern auch mit der CDU-Parteivorsitzenden Angela Merkel und erläuterte ihr seinen Standpunkt. Merkel hatte sich am Montag von Stölzls Äußerungen distanziert.

Der CDU-Landeschef hatte im ORB/SFB-Inforadio den Wahlsieg von Rot-Grün als „Sieg der Unvernunft über die Vernunft“ bezeichnet und hinzugefügt: „Die Deutschen haben immer Unglück gehabt, wenn sie sich irrationalen Stimmungen hingaben oder sich mit Propagandaphrasen in Gang bringen ließen. Das war 1914 so, und das große Unglück der Erdrutschwahlen von 1931/32 war so.“ Sozialdemokraten, Grüne und PDS hatten dies scharf kritisiert. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit nannte den Vergleich Stölzls „unsäglich“. Stölzl habe die Parteien und Millionen Wähler beleidigt. Die FDP hielt sich aus dem Streit weitgehend heraus. Landesvorstand und Abgeordnetenhausfraktion der CDU stellten sich hinter Stölzl.

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