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Berlin: Stölzls Wählerbeschimpfung empört die Parteien

CDU-Parteichefin Merkel und Fraktionschef Steffel distanzieren sich vom Landesvorsitzenden / SPD, Grüne und PDS fordern seinen Rücktritt

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Mit seiner ungewöhnlich harten Kritik am Ergebnis der Bundestagswahl ist der CDU-Landeschef Christoph Stölzl schwer unter Druck geraten. SPD, Grüne und PDS forderten am Montag seinen Rücktritt als Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, und die FDP hielt eine Klarstellung seiner Äußerungen für nötig. Stölzl hatte im SFB/ORB-Inforadio gesagt, die Fortsetzung der rot-grünen Koalition sei „ein Sieg der Unvernunft über die Vernunft“ und wörtlich hinzugefügt: „Die Deutschen haben immer Unglück gehabt, wenn sie sich irrationalen Stimmungen hingaben oder sich mit Propaganda-Phrasen in Gang bringen ließen. Das war 1914 so, das große Unglück der Erdrutsch-Wahlen von 1931/32 war so, und sie waren immer im Glück, wenn sie nüchtern waren.“ Er hoffe sehr, dass sich die Nüchternheit wieder durchsetze. Bei der Reichstagswahl 1931/32 wurden die Nationalsozialisten stark, und im August 1914 begann der Erste Weltkrieg.

CDU-Parteichefin Angela Merkel und der CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Frank Steffel, nannten diese Vergleiche „völlig abwegig“. Zur Aufforderung des Grünen-Fraktionschefs Wolfgang Wieland, sich dafür zu entschuldigen, sagte Stölzl dem Tagesspiegel: „Zu entschuldigen gibt es da gar nichts; die sollen erst einmal in die Geschichtsbücher schauen.“ Er habe niemanden mit den Nazis verglichen. Dies zu suggerieren, sei eine böswillige Interpretation. Unentschuldbar seien hingegen der von der SPD im Wahlkampf geschürte Anti-Amerikanismus „und Möllemanns Fischen am rechten Rand.“ Jeder Irrationalismus tue dem deutschen Volk nicht gut. Wer sich von Phrasen benebeln lasse, sei unmündig.

Zwei Stunden später schlug Stölzl versöhnlichere Töne an. Sollte er sich wirklich missverständlich ausgedrückt haben, tue es ihm Leid. Er sei gerne bereit, „auf dem entsprechenden Niveau Gespräche zu meinen historischen Abrissen zu führen“. Enge Parteifreunde entschuldigten Stölzl damit, dass er tief enttäuscht über das Wahlergebnis sei und wenig politische Erfahrung besitze.

Die anderen Parteien reagierten heftig. Als Kommentar zum Ausgang einer demokratischen Wahl sei dies „ohne Beispiel“, erklärte SPD-Landeschef Peter Strieder. Stölzl spreche der Mehrheit der bundesdeutschen Wähler politische Vernunft und Nüchternheit ab. Er müsse sich für seine Entgleisung entschuldigen oder die Konsequenzen ziehen, forderte Strieder – mit ausdrücklicher Unterstützung des SPD-Landesvorstandes. Stölzl habe mit seinen Äußerungen eindeutig den „Grundkonsens unserer Demokratie“ verlassen. Wer nicht bereit sei, demokratische Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, sollte sich aus der Politik zurückziehen. SPD-Fraktionschef Michael Müller setzte noch eins drauf. „Wer den Wahlsieg von Rot-Grün mit den Strömungen vergleicht, die zum Ersten Weltkrieg und zum Aufstieg der Nazis führten, hat den politischen Verstand verloren.“ Stölzl müsse als Parlamentsvizepräsident zurücktreten, und die CDU möge ihm den Rücktritt als Landeschef nahelegen.

Der Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland sprach von einem „unsäglichen Vergleich“. Stölzl müsse sich glaubhaft entschuldigen oder sein parlamentarisches Amt niederlegen. Seine Äußerungen seien nicht hinnehmbar, sagte auch der PDS-Fraktionschef Stefan Liebich. FDP-Fraktionschef Martin Lindner konnte mit Stölzls Äußerungen ebenfalls nichts anfangen. „Auch wenn einem die Stimmungsmache der Sozialdemokraten und der Wahlsieg von Rot-Grün nicht passt, ist jeder Vergleich mit dem Wahlausgang von 1931/32 schief.“ Der CDU-Politiker müsse klarstellen, dass er die Bundesregierung nicht mit der aufstrebenden Nazi-Diktatur vergleiche. „Ob Stölzl von Ämtern zurücktreten sollte, muss die CDU entscheiden.“

Nach einer Sitzung des CDU-Landesvorstands sagte der Parteichef, dass er keinen Anlass zum Rücktritt als Vizepräsident sehe. Dass sich auch Fraktionschef Steffel von Stölzl distanzierte, wurde CDU-intern nur als „Entlastungsangriff“ empfunden. Steffel fand den Vergleich mit 1914 und 1931/32 „historisch abwegig“. Er selbst bleibt als Fraktionsvorsitzender umstritten. „Es rumort heftig weiter“, verlautete gestern aus Parteikreisen. Trotzdem seien Gerüchte, Steffel werde schon in der CDU-Fraktionssitzung am heutigen Dienstag abgelöst, voreilig. Die Parteiführung demonstrierte, wie schon am Wahlabend, Geschlossenheit. Der Landesvorstand unterstütze die „gemeinsame Arbeit“ von Stölzl und Steffel, sagte CDU-Sprecher Matthias Wambach nach der Sitzung.

Die relative Zufriedenheit der Führung der Landes-CDU mit dem Stimmergebnis von 25,9 Prozent wird von der Parteibasis allerdings nicht geteilt. „Wir sind bitter enttäuscht“, sagte der Kreuzberger Kreisvorsitzende Kurt Wansner. „Wir müssen nicht in Sack und Asche gehen, aber berauschend ist das Wahlergebnis nicht“, schätzte der Berliner CDU-Spitzenkandidat Günter Nooke ein. Auch Michael Braun, CDU-Vizefraktionschef im Abgeordnetenhaus, berichtete von einer „miesen Stimmung und Niedergeschlagenheit“. Mehr als die Stammwählerschaft sei zurzeit nicht mobilisierbar. Gute Ergebnisse weit über 25 Prozent hinaus seien offenbar nur noch dann erzielbar, wenn der CDU-Landesverband konzeptionell und personell „super aufgestellt“ sei, sagte die stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters. Um dies zu erreichen, müssten auch die bezirklichen Parteigremien ihre „personalpolitischen Scheuklappen ablegen“.

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