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Berlin: Stoff auf Rezept

Aus Berliner Arztpraxen werden im großen Stil Rezepte gestohlen, gefälscht und bundesweit bei Apotheken eingelöst. Junge Ausländer besorgen sich damit das Schmerzmittel Tilidin, das auch als Droge taugt: Es macht aggressiv und selbstbewusst

In den Regalen einer Apotheke lagert so manches Medikament, das unerträgliche Schmerzen lindern kann, aber auch als Droge taugt. Und immer mehr Betrüger versuchen, mit geklauten und gefälschten Rezepten an diesen „Stoff“ heranzukommen. Nun warnt die Techniker Krankenkasse (TK) erstmals alle Apotheker in Deutschland vor einer Schwemme gefälschter Verordnungen, die aus Berliner Arztpraxen gestohlen wurden. Besonders begehrt ist dabei eine Arznei namens Tilidin, ein starkes Schmerzmedikament, das zur Gruppe der Opioide, also der Opium ähnlichen Medikamente, zählt.

Das Mittel sei besonders bei jungen türkischen und arabischen Männern beliebt, sagt Christine Köhler-Azara vom Berliner Drogenreferat. Das Medikament setze die Schmerzempfindlichkeit herab, steigere die Aggressivität und „bläst das Selbstbewusstsein auf“. Tilidin habe aber auch ein hohes Suchtpotenzial, vor allem für die Psyche. „Die Jungs wissen oft gar nicht, was sie sich da antun“, sagt Christine Köhler-Azara.

Und die Nachfrage steigt offenbar immer weiter. Seit 2004 seien tausende gefälschter Tilidin-Rezepte eingelöst worden, schätzt Frank Keller, Leiter der Ermittlungsgruppe Abrechnungsbetrug der Techniker Krankenkasse in Hamburg. Im Schnitt würden pro Rezept zweimal 100 Milliliter Tilidin zu je 40 Euro verordnet. Für schwerst Abhängige reicht diese Dosis gerade mal eine Woche.

Die gefälschten Verordnungen wurden bundesweit in rund 120 Apotheken eingelöst. Das Erstaunliche daran aber ist, dass sie fast alle aus Berliner Arztpraxen gestohlen wurden. 17 haben die TK-Ermittler bisher ausmachen können. „Das ist eine außergewöhnliche Häufung“, sagt Keller. „Da kann man schon vermuten, dass hinter den Dieben eine Organisation steckt.“ Denn ganz offensichtlich seien die Ärzte nicht in den Betrug verwickelt. „Wir haben Anzeichen gefunden, dass die Formulare manipuliert wurden.“

Deshalb hat man sich jetzt auch entschlossen, erstmals eine direkte Warnung an die Apotheker zu verschicken. In dem Schreiben der TK werden die Pharmahändler auf Hinweise für eine Rezeptfälschung hingewiesen. Außerdem heißt es in dem Brief: „Generell sollte eine Rückfrage beim Arzt erfolgen, wenn der Überbringer des Rezeptes in der Apotheke nicht bekannt ist.“

„Manipulierte Tilidin-Verordnungen sind ein wachsendes Problem“, bestätigt auch Friedrich-Wilhelm Wagner, Geschäftsführer des Berliner Apothekervereins. „Unsere Mitglieder sind sensibilisiert und haben auch schon Tilidin-Rezepte nicht ausgeliefert, weil ihnen der Einreicher verdächtig erschien.“ Aber das sind die Ausnahmen. Denn oft fällt es den Apothekern schwer, die Fälschungen zu erkennen. Stehen die Verordnungen doch auf Original-Vordrucken mit Arztstempel und Praxisnummer. Und ohne einen konkreten Verdacht gegen den Einreicher sei der Apotheker verpflichtet, das Präparat auszuhändigen, heißt es bei der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände. Deshalb appellieren die Ermittler auch an Ärzte, mehr Sorgfalt mit den Rezeptblöcken walten zu lassen. Frank Keller: „Das sind eigentlich Verrechnungsschecks und deshalb sollten sie auch nicht für jedermann erreichbar irgendwo herumliegen.“

Es gebe zwar keine Vorschriften, wie ein Arzt mit seinen Verschreibungsformularen umzugehen habe, sagt eine Sprecherin der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung. Doch wer die Vordrucke in Reichweite der Patienten am Tresen liegen lasse, handle fahrlässig. Bemerkt ein Arzt, dass ihm Rezeptvordrucke gestohlen wurde, dann sei er auch verpflichtet, den Apothekerverein zu benachrichtigen. Und solche Warnungen kämen fast täglich, heißt es von der Berliner Apothekerkammer.

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