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Berlin: Stoff für die Sinne

Ulrike Rauthenstrauch sagt, unsere Welt sei zu glatt. Sie gibt einem was in die Hand: Filz

Sie hat wieder ihren Filz-Wolf um die Schultern gelegt. Wenn Ulrike Rauthenstrauch so durch Kreuzberg bummelt, gucken die Leute verblüfft. „Kein Wunder“, sagt die Wolldesignerin. „Wenn ich noch meine rote Filz-Mütze trage, ist das Märchen perfekt.“ Rotkäppchen lässt grüßen – aber todschick.

Seit drei Jahren lebt Ulrike Rauthenstrauch in Berlin, und dass die 55-Jährige ein echter Filz-Junkie ist, verrät nicht nur ihr Outfit, sondern erst recht ihr Loft: bergeweise Wolle, verteilt über 150 Quadratmeter, abertausende Filz-Kunstwerke, die aus Hutschachteln und vergilbten Reisekoffern quellen und ein Kater namens Friedjoff, der stilecht in einer Filz-Jurte schlummert. „In so einer Art Zelt haben schon die Nomaden in Zentral-Asien gelebt“, erzählt seine Besitzerin. Die Jurte hat sie Friedjoff im April aus Kirgistan mitgebracht. Denn dort steht die Wiege des Filzens. Und weil das so inspirierend war, lernt sie für eine zweite Reise in die ehemalige Sowjetrepublik fleißig Russisch.

In Ulrike Rauthenstrauchs Wohnung herrscht das strukturierte Chaos, Erinnerungen aus einem bewegten Leben. In Goslar und Berlin aufgewachsen, studiert sie in Hamburg Geschichte, heiratet einen Amerikaner und zieht mit ihm durch die Welt: New York, London, Athen, Lagos und so fort. Sie schreibt Bücher, jobbt als Lehrerin und Übersetzerin und arbeitet nebenbei immer künstlerisch: mit Papier, mit Metall und Stoffen. In New York lässt sie sich zur Hutmacherin ausbilden. Auf einem Wochenendseminar findet sie eine neue große Liebe: das Filzen. Sieben Jahre ist das her. Mittlerweile gibt sie selbst Kurse und macht eigene Mode – fernab von Pantoffeln und Janker. Kombiniert bei Swing-Musik Filz mit bunten Pailletten oder zarter Spitze. „Beim Filzen gestaltet der Zufall mit, und das muss man geschehen lassen“, sagt sie. Und manchmal, zur Adventszeit, wird ein roter Nikolausstiefel draus.

Filz, findet sie, ist mütterlich. Beschützend. Berauschend. Ihre Kursteilnehmer sehen das genauso. „Unsere Welt ist zu glatt. Statt Computermäusen wollen die Leute endlich wieder Dinge in die Hand nehmen, die die Sinne anregen“, glaubt sie. Wie sagte schon Goethe: Gefühl ist alles! Ulrike Rauthenstrauch würde es nicht wundern, wenn der Dichter dabei ein Stück Filz in der Hand gehalten hätte.

Ulrike Rauthenstrauch, Reichenberger Str. 36/Hinterhaus, Kreuzberg.

Sie wollen Ulrike Rauthenstrauchs Kreation nachmachen? Dann kommen Sie zum Workshop. Preis: 15 Euro plus 4 Euro Material.

Montag, 6. Dezember, 18–21.30 Uhr , Reichenberger Straße 36, Kreuzberg (Hinterhaus). Anm. per E-Mail an

ulrikeberlin@ngi.de oder per Tel. 69518868 (Mailbox). Sie werden am Sonntag, 5.12., ab 19.30 Uhr telefonisch benachrichtigt.

Katrin Salié

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